Würde man mir die Pistole auf die Brust setzen und fragen, was der Anfang vom Ende gewesen sei, müsste ich wohl sagen: die Trauerfeier für meine Schwiegermutter im Jahr 1983. Als ich mich über den Sarg beugte und zu Blanchie hinabsah (hundert Kilo in ihrer Blütezeit, nun eine auf Satin gebettete Trockenpflaume), ereilte mich die zweifelsfreie Erkenntnis, dass ich meiner Tochter unmöglich erlauben durfte, aus unserer wochenlangen Diskussion als Siegerin hervorzugehen und Flashdance zu schauen.
Streng genommen kein Lesbenfilm, aber machen wir uns nichts vor.
Und Mannomann, habe ich mir vielleicht was vorgemacht. Warum in Gottes Namen sollte eine Elfjährige dermaßen inbrünstig darum betteln, Flashdance sehen zu dürfen. Ich habe niemanden gefragt, auch nicht Gott. Die Frage hielt mich nachts wach. Als ob ich es nicht gewusst hätte. Ich wusste es durchaus. Ich wusste genug, um instinktiv zu antworten: KEIN Flashdance. Nur über meine Leiche würde ich mit ihr in diesen Film gehen. Ich sagte ihr, der Film sei nicht altersgerecht. Sie konterte, ich hätte sie doch im Alter von sechs Jahren mit in Saturday Night Fever geschleift – ein erstaunlich brutaler Film über Discokultur. In einem schlecht beheizten Billigkino an der Ecke Eighty-Fifth und First Street hatte meine Tochter den Film mit weit aufgerissenen Augen verfolgt, wie in Schockstarre. Hinterher aßen wir in einem Irish Pub Cheeseburger, die auf englischen Toastbrötchen serviert wurden. Meine Art der Wiedergutmachung. Nichts davon gibt es mehr, weder das Kino noch den Pub. Jedenfalls hatte ich damals einen Heidenspaß. Zumindest, solange ich nicht zu meinem Kind herübersah, das im Kinositz neben mir zitterte. Die Tanzszenen, die Bee Gees. Ein Heidenspaß. Das könnte man mir sicher noch verzeihen. Meine anderen Sünden vielleicht weniger. Aber ich musste John Travolta sehen, und wenn das hieß, meine Tochter mit ins Kino zu schleppen, dann war das Herrgott nochmal eben so. Aber was Flashdance anging, blieb ich eisenhart. Je mehr meine Tochter bettelte und quengelte, desto entschlossener wurde ich. Du sollst nicht Flashdance sehen, wenn ich es verhindern kann.
Das Ausmaß ihrer Verzweiflung war vollkommen daneben. Soweit ich weiß, hat kein Film je so eine Hysterie bei ihr ausgelöst. Wir reden hier über ein Mädchen, das sich einen Scheiß für Tanz interessiert hat. Sie wurde sogar mal von der Schule suspendiert, weil sie sich weigerte, bei einer Ballettaufführung mitzumachen, und jetzt war sie auf einmal Feuer und Flamme? Das Schmollen, das Flehen, das ganze Bohei, alles nur, um einen Film zu sehen, in dem – tja, wenn ich so darüber nachdenke, wenn ich der Wahrheit wirklich ins Auge blicke: einen Film, in dem Frauen aus Pittsburgh sich ausziehen.
Warum auch immer – als ich Blanchie in ihrem Totengewand sah, wurde mir schlagartig alles klar. Das Gespenst, das mich meine ganze Ehe hindurch heimgesucht hatte: die distanzierte, grundlos hochnäsige Blanchie, nun verschrumpelt in einem blauen Kleid. In diesem Moment ging mir auf, dass all meine Träume gestorben waren.