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Der Schamaya-PalastAli Al-Kurdiübers. v. Larissa Bender
Wallsteinago. 2022 22 € 178 pp.

Ali Al-Kurdis Roman Der Schamaya-Palast schildert die Umwidmung und Ausweitung einer besonderen Flüchtlingsunterkunft in Syrien seit den 1950er Jahren und ihre Veränderungen über Jahrzehnte hinweg. Im Gegensatz zu einem Großteil der palästinensischen Literatur über Camps, in der es um Zelte geht, die im Laufe der Zeit durch Gebäude ersetzt werden, beherbergt der Roman, wie der Titel schon andeutet, geflüchtete Personen in einem verlassenen Palast, «inmitten des komplexen Gewebes der Altstadt von Damaskus». Während palästinensische Camps in der Regel an den Rändern der Städte und der Gesellschaft errichtet werden, führt die Lage Schamayas im Zentrum der Stadt zu Reibungen zwischen den marginalisierten Geflüchteten und verschiedenen ethnischen, religiösen und kulturellen Gruppen der syrischen Gesellschaft.

Dort sind Palästinenser*innen einer endlosen Spirale der Marginalisierung ausgesetzt: Sie sind staatenlose Flüchtlinge, Teil einer mehrfach benachteiligten sozialen Klasse und müssen sich einem besonders repressiven Regime widersetzen. Sie verkörpern außerdem die ungelöste Palästinafrage und stellen wegen ihres Traums von der Rückkehr und des Widerstands, der sich in den Camps regt, eine Bedrohung für Israel dar.

Die Erzählung schildert Szenen der Diskriminierung durch die Polizei, die von UNO und UNRWA durchgesetzten Überwachungsmaßnahmen und Einschränkungen und die allgemein katastrophalen Lebensbedingungen. Al-Kurdi war selbst politischer Gefangener: Er wurde 1982 festgenommen und zu neun Jahren Haft verurteilt, die er zunächst in der syrischen Generaldirektion für Sicherheit, dann in den berüchtigten Gefängnissen Tadmur und Saidnaya durchstehen musste.

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Der 2010, noch vor Al-Kurdis Ankunft in Deutschland, auf Arabisch veröffentlichte Roman schildert das Leben und die intrikaten Beziehungen im Schamaya-Palast. Dieser wurde 1865 im jüdischen Viertel erbaut und war einst das Haus des wohlhabenden Schamaya Efendi. Nachdem ein Großteil der Juden*Jüdinnen Syrien verlassen hatte, wurde das Anwesen vom Staat beschlagnahmt und in den 1950er Jahren für palästinensische Flüchtlinge geöffnet, die im Zuge der Nakba nach Syrien vertrieben wurden. Der Roman folgt zunächst eng den historischen Begebenheiten: Er erzählt, wie der Palast in winzige Parzellen unterteilt wurde, um fünfzig palästinensische Familien unterzubringen; jeder Familie wurde ein Zimmer zugewiesen. Die Erzählung wird getragen von sich abwechselnden Ich-Erzähler*innen, doch gelegentlich macht sich ein über alles informierter Erzähler bemerkbar, setzt sich an ihre Stelle und verstärkt noch die ohnehin drückende Atmosphäre von Überwachung und Enge.

Der Aufbau des Romans spiegelt die Struktur der vielen kleinen Behausungen in Schamaya wider. Die zusammenhängenden, rasant erzählten Kurzgeschichten wirken, als wären sie die winzigen Zimmer, die den Figuren zugewiesen wurden. Im Laufe der Jahre mussten diese Wohneinheiten immer wieder erweitert werden, um wachsenden und neu hinzukommenden Familien Platz zu bieten. Die vermeintlich vorübergehende Situation der Palästinenser*innen als Flüchtlinge blieb weiter ungelöst, ihr Aufenthalt in Syrien zog sich immer weiter hin.

Die Karte

Gleich zu Beginn findet Ali Al-Kurdi ein fesselndes Bild für das explosive Potenzial, das in den Camps brodelt:

«‹Stadtplan› war das Lieblingsspiel unserer Kindheit im jüdischen Viertel von Damaskus. Wir teilten uns in zwei Gruppen auf. Die erste Gruppe begab sich außer Sichtweite, während die zweite Gruppe mit Kreide die miteinander verflochtenen Gassen des Viertels auf den Boden zeichnete, um das Areal einzugrenzen, innerhalb dessen wir uns bewegen würden. Dann zogen die Mitglieder dieser zweiten Gruppe los, um sich im Labyrinth der von ihnen aufgemalten Gassen zu verstecken. Die andere Mannschaft studierte den ‹Stadtplan› und begab sich dann auf die Suche nach den Jungen, die sich versteckt hatten. Sinn des Spiels war, die Mitglieder der zweiten Gruppe zu fangen, bevor sie innerhalb einer festgelegten Zeit zurückkehren und die Spuren des ‹Stadtplans› verwischen konnten.»