C.H. Beck Feb. 2025 20 € 144 S.
C.H. Beck März 2025 26 € 282 S.
Schweben ist mit dem Wunsch verbunden, das ganze Gewicht der Welt abzustreifen. Vielleicht hat es deswegen gerade Konjunktur. 2024 wurde nach einer Petition von Fans die Überschreibung von David Bowies Song «Space Oddity» aus dem Jahr 1969 durch den NDW-Star Peter Schilling zur neuen Torhymne der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer. Auch in Bowies Song und dann in Schillings Update von 1982 geht es bekanntlich ums Schweben: «Völlig losgelöst» fliegt der Astronaut Major Tom durch das All. Schweben bezeichnet also eine Intensität, einen unbedingten Zustand (wobei man, genau genommen, nicht durchs All schwebt, sondern fällt). Bei Bowie und Schilling ist das Schweben der Augenblick, in dem alle Verbindungen gekappt werden, den möglichen Tod vor Augen. In Schillings Version ist er ganz positiv konnotiert, bei Bowie zumindest ambivalent, der Grundton seines Songs melancholisch.
Die Frage nach dem Schweben rührt ans Existenzielle. Das zeigen auch zwei Bücher, die es in ganz unterschiedlicher Weise in ihr Zentrum stellen: Joseph Vogls Abschiedsvorlesung Meteor. Versuch über das Schwebende und Annett Gröschners Schwebende Lasten spüren entlang dieser Metapher der Frage nach, ob es nicht Momente im Leben von Einzelnen, aber auch in der Geschichte des Denkens gibt, in denen es möglich erscheint, ganz anders zu leben und zu denken.
Es ist zunächst ein merkwürdiger Effekt, der sich bei der Lektüre von Gröschners Schwebende Lasten einstellt: Hanna Krause, die Protagonistin des auf dem Buchrücken als «wirklichkeitssatt» angepriesenen Romans, verliert jeden Anschein der Möglichkeit, eine reale historische Figur gewesen zu sein. Man ist am Ende des Romans einer «Blumenbinderin und Kranfahrerin, die zwei Revolutionen, zwei Diktaturen, einen Aufstand, zwei Weltkriege und zwei Niederlagen, zwei Demokratien, den Kaiser und andere Führer» erlebte, über die achtzig Jahre ihres Lebens gefolgt. Sie verstirbt im Jahr 1993. Wirklichkeitssatt also, man könnte auch sagen: etwas überladen; nicht zuletzt, weil dieses Genre gerade an ostdeutschen Figuren oft genug durchgespielt worden ist. Gröschners Versuchsanordnung ist jedoch nicht ohne Reiz, weil sie eine bestimmte Frage verfolgt. Sie ist eine Wiederholung des Bekannten mit einem bestimmten Akzent. Dieser Akzent ist in der Metapher der schwebenden Lasten gefasst.
Dass man es mit einer Differenz in der Wiederholung, mit einer Wiederaufnahme des Bekannten unter leichter Akzentverschiebung zu tun habe, könnte man auch von Joseph Vogls erweiterter Abschiedsvorlesung behaupten. Noch einmal führt der nun emeritierte Literaturwissenschaftler jene von Gilles Deleuze, Michel Foucault und Gaston Bachelard kommende denkerische Akrobatik vor, die im literaturwissenschaftlichen Methodenkanon unter dem Namen «Poetologie des Wissens» firmiert. Obwohl von ihr als einer Methode zu sprechen eigentlich schon ein Affront ist, zumindest nach Vogls Verständnis: «Kontrollverlust» und «riskante methodische Zwanglosigkeit» seien vielmehr die Grundlagen dieser Vorgehensweise. In seiner Abschiedsvorlesung streift Vogl noch einmal durch Texte seines recht westlichen und zuverlässig männlichen Kanons – Galilei, Goethe, Musil, Kafka – und beschäftigt sich mit den bekannten Einschnitten, dem Beginn der Neuzeit im 16. Jahrhundert und dem Beginn der Moderne, zumindest einer bestimmten, «um 1800».