GrönemeyerMichael Lentz
S. Fischer Sep 202428,00 € 368 S.

Herbert Grönemeyer ist der erfolgreichste Pop-Solokünstler Deutschlands. Das ist keine Hyperbel, es ist ein Fakt: Er hat die meisten Alben verkauft. Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Michael Lentz hat nun ein Buch über ihn geschrieben. Zumindest denkt man das zunächst, wenn man GRÖNEMEYER in den Händen hält. Ein Buch mit Farbschnitt! Das ist so gegenwärtig. Pop!

Herbert Grönemeyer, dessen erstes Album 1979 erschien, ein Überbleibsel aus der männerdominierten, dicht verrauchten Siebzigerjahre-BRD, wählt sich hier also ein in den digitalen Dauerbeschuss der Gegenwart. Denn BookTok liebt den Farbschnitt, provoziert und fordert ihn, Sally Rooneys Intermezzo trägt ihn azurblau, und beinahe die gesamte New-Adult-Sparte von Bastei Lübbe ist an ihren Seitenkanten von Geschenkpapier kaum noch zu unterscheiden. Der Farbschnitt von GRÖNEMEYER ist blassblau. Das kontrastiv rote Cover zeigt den Titel in glänzenden Versalien, wobei sich jeder zweite Buchstabe negativ aus Umrissfragmenten herstellt. Und genau das ist ein wertvoller, aber leicht zu übersehender Fingerzeig: Lentz’ Text ist kein Text über GRÖNEMEYER, sondern über den negativen Raum um ihn herum. Namen, Orte, Daten, Fakten stecken ab, was nicht zu erzählen ist: Herbert Grönemeyer als Mensch.

Denn der ist privat. Aber entsteht nicht genau aus diesem Privaten, das kaum etwas Anderes meint als das «Leben», die Kunst? Ist Herbert Grönemeyers Album Mensch nicht auch deshalb sein nach Verkaufszahlen erfolgreichstes, weil es von zwei zwar sehr privaten, aber eben doch sehr öffentlich bekannten Schicksalsschlägen kontextualisiert wurde?

Doch für Grönemeyer ist seine Kunst der Beruf, und Privatleben und Berufliches, das trennt man in Deutschland. Strikt. Unsere Geschichte mag etwas damit zu tun haben, denn wo immer Politik autoritäre Züge annimmt, bekommt das Private einen besonderen Wert. Öffentlich funktioniert man, privat ist man anders, mitunter anrüchig, da lauert die Nabelschau. Flusig.

Grönemeyer aber ist keine Fluse. Man kann ihm durch Lentz’ Text in etwa so nahekommen, als hätte man jahrelang von 8 bis 14 Uhr Aktentasche an Aktentasche neben ihm in einer deutschen Behörde gearbeitet. Minutiös wird seine Arbeitsweise geschildert. Immer wieder bekommt man seine phonetisch englischen, aber lautmalerischen «Bananentexte» auseinandergesetzt. Sie fungieren als Platzhalter auf den Melodien, bevor die eigentlichen Lyrics geschrieben sind. Lentz ist von dieser Arbeitsweise sichtlich fasziniert, unterschlägt aber, dass sehr viele Musiker:innen zunächst mit Melodie und lautmalerischen Texten arbeiten. Paul McCartney beispielsweise sang «Scrambled Eggs / Oh my baby how I love your legs», bevor er «Yesterday / All my troubles seemed so far away» textete.

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Ebenso ohne Einordnung bleibt das Grönemeyer’sche Merkmal, Wörter anders zu singen und zu betonen, als man sie üblicherweise spricht. Beispiel: «Schattenimblick». Aber auch das ist an sich nicht ungewöhnlich. Selbst im kommerziellsten Pop macht man sich tagelang Gedanken darüber, wie ein gesungenes Wort zu einer auditiven Marke, also mimetisch wird. Man denke nur an Britney Spears «bay-bae» statt «baby» in ihrem Hit «Crazy», den sie – folgerichtig – «Cray-zae» singt.

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