Kiepenheuer & Witsch Mar 2025 €25 224 S.
Kitsch is never ironic.
—Odd Nerdrum
Kurz nach Weihnachten veröffentlichte NRK, die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt in Norwegen, ihre siebenteilige Doku-Soap Familien Nerdrum. Die seitdem kontrovers diskutierte Serie gewährt einen intimen Einblick in das Leben und Wirken einer der umstrittensten Künstlerfiguren des Landes. Der 80-jährige Odd Nerdrum lebt mit seiner Frau, seinen Kindern und Enkelkindern sowie seinen Schüler:innen auf einem Bauernhof in der Nähe von Larvik, südlich von Oslo. In seiner Werkstatt, die nach dem Vorbild alter Meister konzipiert ist, werden die aus allen Ländern kommenden Adept:innen von Nerdrum unterrichtet, während sie diesem zugleich zur Hand gehen.
Nerdrum bezeichnet seine Malereien nicht als Kunst, sondern als Kitsch. Sie handelten von zeitlos-archetypischen Urinstinkten, vom «Menschlichen» als solchem, was sich zumeist in vereinsamten, leidenden Gestalten in öden Landschaften niederschlägt. Der Kitschmaler Nerdrum ist dem Zeitlosen verschrieben und sieht sich als Dialogpartner der ganz Großen: Caravaggio, Rembrandt oder unermüdliche Viktorianer wie George Frederic Watts. Vor allem aber ist Nerdrum bekennender Anti-(Post-)Modernist. Die Konzeptkunst, Performance Art und Technologiegläubigkeit der jüngeren Vergangenheit habe grobe ästhetische Verwüstungen angerichtet, und niemand sei mehr imstande, eine lebensechte Hand zu zeichnen, geschweige denn mit ihr zur arbeiten.
Seine Weisheiten hat Nerdrum vor einigen Jahren mit ein paar Mitstreitern in dem Manifest On Kitsch zusammengetragen. Neben viel Selbstbeweihräucherung liest man da: «Kitsch is about the eternal human questions, the pathetic, whatever its form, about what we call ‹the human›. The task of kitsch is to create a seriousness in life, at its best so sublime it will bring the laughter to a quiet. Kitsch serves life and therefore seeks the individual, in contradiction to art’s irony and dispassion.»
Nerdrums Sekte
Nerdrum ist es ernst mit seinem Projekt. Jeden Morgen versammeln sich seine Schüler:innen und Kinder und lauschen andächtig den Verwünschungen des Meisters, der selbstverständlich immer recht hat. Da sitzt er; alt, verbittert und von der eigenen Megalomanie zerstört – in einem langen Leinengewand, das man gegen vulgäres Geld auch auf nerdrum.com erhält –, und verzapft Abgedroschenes: Alle gegen ihn, jedes Bild ein «Kampf gegen den Sand», nur das tiefste Gefühl birgt große Kunst, und nur er, Nerdrum, sieht es, das Licht am Ende der modernistischen Hölle. Maler seien sie hier, Herrgott nochmal, keine von Zeitgeist und staatlicher Förderung korrumpierte Berufskünstler. Das erweiterte Familienkonglomerat inszeniert sich als «Sekte», versammelt um eine Erlöserfigur. Mit großem Ernst wird der Untergang des Abendlandes beschworen und werden gereimte Verse deklamiert, im Hintergrund Bach-Kantaten zum mitsummen. «There is little comfort in artificial light», schreibt Nerdrum in seinem Kitsch-Manifest. Ein von Weltflucht und Heideggers Technophobie getränktes «Wohin haben wir uns verirrt» erlebt dort eine neue Blüte, wo noch gegen die Trostlosigkeit künstlicher Lichtquellen aufbegehrt und die Wahrheit mit dem Pinsel entborgen wird.
Nicht nur Nerdrum wiederholt in der Serie immer wieder seine Verachtung für moderne Ästhetik und beschwört das Ideal einer «klassisch-figurativen» Kunst. Auch seine Kinder ereifern sich in der Rolle als Sprachrohr der väterlichen Ästhetik. Neben einem Nerdrum-Museum gibt es die eigene Zeitschrift, mit dem bescheidenen Namen Sivilisjionen, wo Schwurbler von echter, griechischer Zeitlosigkeit fabulieren, während sie gegen zeitgenössische Architektur und EU-Verordnungen anschreiben. Man träumt sich nicht nur hinaus aus der grässlichen Gegenwart, man lullt sich ein in eine Gegenöffentlichkeit: «Kitsch is the opposite of the public space, of the public conversation, of the demand for objectivity and functionality.»
900.000 Norweger:innen haben sich die Untergangserzählungen der Familie Nerdrum bereits angesehen. Ihr Mix aus Gegenwartshass und Nostalgie für alles Vormoderne wird dankend aufgegriffen, nicht nur von Parteien des rechten Rands, auch von Typen wie dem «Sløseriombudsmannen», einem Facebook-Prediger, der Wissenschaftlerinnen und Künstler diffamiert und sich die Aufgabe gesucht hat, den «falschen» Gebrauch öffentlicher Mittel in Norwegen anzuprangern. Dabei wird Stimmung gemacht gegen staatliche Kunstförderung, bei der ja immer nur zeitgenössischer Tanz oder eine Art des Avantgardetheaters herauskommt, die das Publikum mit Scheiße bewirft – Scheiße, die dann wiederum im ohnehin versifften Berlin verteilt werden muss, wie die allerdings zuletzt zersplitterte Allianz aus Volksbühne, Vegard Vinge und Ida Müller gezeigt hat. Nerdrums antimoderne Klassizismusfantasien bilden den öffentlich-rechtlichen Unterbau für die von der europaskeptischen Senterpartiet gestellten Forderung nach drastischen Einsparungen im norwegischen Kulturbetrieb oder der Streichung von Stipendienprogrammen. Wer dem Staat schon künstlerisch auf der Tasche liegt, sollte wenigstens Hände malen können.
Krachts (Post-)Ironie
Nun findet sich Nerdrums Kunst nicht nur an den Wänden der Retro-Verfechter des Wahren, Guten und Schönen, sondern auch auf dem Coverumschlag von Christian Krachts neuem Roman Air. Auf The Black Cloud von 1987 liegen zwei als Frau und Mann erkennbare Wesen halb-mumifiziert in wüster Endzeitlandschaft, während im Hintergrund eine dunkle Wolke aufzieht. Das Bild ist Teil einer Serie von Gemälden aus den 1980er Jahren, in der mit Wildfellen oder Rüstungen bekleidete Ritter mit ihren Waffen in steinigen Küstengebieten oder an Wasserlöchern herumstehen, auf die Schlacht warten oder aus ihr kommen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Kracht und Nerdrum auf einem Cover zusammenfinden. Schon auf der dtv-Taschenbuchausgabe von 1979, einem Roman, den Kracht selbst bei Harald Schmidt «Kitsch» nannte, ist Nerdrums The Brick von 1982 abgebildet. Und auch auf der von Kracht 1999 herausgegebenen Anthologie Mesopotamia prangt ein Nerdrum. Die Soldaten, die auf Water Protectors zu sehen sind, geben zugleich die Pose vor, die Kracht in dem der Anthologie beigegebenen Autorenfoto aufgreift. Auch wenn es hinter Pop, Camp und Autofiktionsmaskeraden zumeist übersehen wurde, ist der Kitsch eine zentrale Referenz für Kracht – insbesondere, so scheint es, in Form der Nerdrum’schen Bilderwelten. Der Grund für diese Nähe von Nerdrum und Kracht ist aber sicherlich nicht darin zu suchen, dass Kracht kulturkonservative Weltanschauungsromane schreibt, oder gar, wie vor ein paar Jahren aufgeregt diskutiert wurde, einem demokratiegefährdenden Obskurantismus die Tür öffnet.