The Zone of InterestJonathan Glazer
105 Min.  19 May 2023
De FactoSelma Doborac
130 Min.  18 Feb 2023

Zwei Filme untersuchen organisierte historische Massengewalt, indem sie Täter:innen ins Zentrum rücken und zugleich auf die Bebilderung ihrer Gewalt verzichten.

Jonathan Glazers The Zone of Interest aus dem Jahr 2023 beginnt mit einem ungewöhnlich langen Schwarzbild, unter dem bedrohlich klingende Synth-Akkorde anschwellen. Nach gut drei Minuten gehen sie in Vogelzwitschern über, und auf der Leinwand erscheint Natur: Eine Familie picknickt in gelassener Stimmung und sattgrüner Kulisse am Ufer eines Flusses.

Auch im Hintergrund von Selma Doboracs De Facto von 2023 blüht es sattgrün. Fast der ganze Film spielt in einem ebenerdigen Raum, in dem ein Tisch und zwei Sessel stehen. Durch Fenster und Türen, die alle nur Auslassungen in der weißen Wand sind, erkennt man Bäume, Äste und dichte, rauschende Blätter. Ein Mann sitzt an dem Tisch, fängt an zu sprechen. Nach wenigen Wörtern wird klar: Hier spricht ein Täter.

In Glazers Film mischen sich unter die kleinbürgerlich-idyllischen Wunschbilder bald Geräusche des Terrors. Sie stammen vom Stammlager Auschwitz I, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft die gezeigte Familie – Lagerkommandant Rudolf Höß mit Ehefrau Hedwig und den gemeinsamen Kindern – lebt. Nur eine Mauer trennt das Vernichtungsgeschehen vom Garten der Familie. Über sie ragt ein Schornstein, aus dem Feuer schlägt, immer wieder stiebt auch der Rauch ankommender Züge ins Bild. Ein industriell anmutendes Röhren zeugt vom Dauerbetrieb des Massenmordes, dazu fallen Schüsse, brüllen SS-Männer, bellen Hunde und schreien Menschen vor Schmerz, Verzweiflung und Angst.

Die Handlung des 130 Minuten dauernden De Facto ist mit der Eingangsbeschreibung im Kern benannt. Der Mann spricht und spricht und schaut dabei konstant knapp an der Kamera vorbei. Bald dräut die Vermutung, dass es Gerichtsprotokolle aus der Einvernehmung eines ehemaligen KZ-Aufsehers sein könnten, die durch den ruhig am Tisch sitzenden Körper des Schauspielers laufen. Nach kurzer Zeit bröckelt diese Ahnung jedoch wieder, wenn er sagt, die Arbeit habe es ermöglicht, «ein paar Stunden auf Computergame zu machen». Während er kaum innehaltend von Plünderungen, Hinrichtungen, Vergewaltigungen erzählt, reift langsam das Verständnis dafür heran, dass man es hier mit einer aufwändigen Textmontage zu tun hat, die verschiedenste Täterberichte aus dem letzten und gegenwärtigen Jahrhundert miteinander verzahnt. Orte und Jahreszahlen werden nicht genannt. Die Schilderungen sind detailreich, apologetisch und im denkbar schlimmsten Sinne austauschbar.

The best texts in your mailbox
Our free Newsletter

Newsletter Subscription

In den kaum bewegten Bildern von The Zone of Interest diesseits der Mauer sehen wir ganz andere Szenen: Rudolf bekommt ein Boot zum Geburtstag, Hedwig zeigt ihrer Mutter den Garten, eingeschüchterte polnische Zwangsarbeiterinnen besorgen den Alltag. Märchen werden vorgelesen, mit dem ältesten Sohn reitet man aus. Ob beim biederen Smalltalk oder der Präsentation eines neuen, rotierenden Krematoriumskonzepts, das Verhalten der Figuren bleibt gleichermaßen ruhig und geschäftsmäßig.