1.

«ich bin eine kleine kirche (keine große kathedrale)» lautet der erste Vers eines Gedichts von e. e. cummings – der Punkt, an dem der amerikanische Lyriker unserem größten Dichter der kleinen Dinge, Manuel Bandeira, am nächsten kommt. Ich trage diesen Vers mit mir herum wie einen Psalm, denn er beschreibt, wie ich leben und schreiben will: demütig und entbehrlich, ohne ein Dummkopf zu sein. Jedes Mal, wenn ich Silas Malafaia sehe, kommt mir der Vers in den Sinn.

2.

In vielen schlaflosen Nächten habe ich mir im Free-TV Sendungen der neupfingstlichen Kirchen angeschaut. Zu der Zeit schrieb ich an meinem ersten Roman Glória, und eine seiner Hauptfiguren ist Abel, ein Pastor und aufsteigender Stern am Business-Himmel des Herrn. Zu seinen unbewussten Vorbildern (wie mir erst später klar wurde) gehörte die Figur der Leniza Mayer aus Marques Rebelos Film A estrela sobe, eine junge Frau mit dem verhängnisvollen Traum, Radio-Diva zu werden. Für Leniza ging die Geschichte nicht gut aus, für Silas ist das ganze Brimborium too big too fail.

Der Vergleich sollte nicht überraschen. Schon an der Oberfläche ist die Verbindung von Showbusiness und Glaubensspektakel evident. Es hat seinen Grund, wenn in einem Land mit vermeintlich katholischer Mehrheit die live übertragenen Fernseh-Messen erfolglos bleiben, während die evangelikalen TV-Shows die Massen begeistern. Auf dem einen Kanal Führungen durch das Museu Imperial (in Pantoffeln); auf dem anderen das Heilige Feuer in HD-Qualität, mit inbrünstigen Eruptionen, uferlosen Verheißungen und abgefahrenen Stories (die Bibel, der kleine Mensch, die Saga der neuen Kirche und ihr Weg aus der Dunkelheit), alles beruhend auf wahrer Begebenheit. Auch mir haben die Sendungen mit Silas gefallen, schließlich kam ich im goldenen Zeitalter der Stimulationen zur Welt. Und mir gefiel, wie er zu den Gläubigen sprach.

So war es für mich keine Überraschung, als die neupfingstliche Bewegung zu monumentaler Größe anschwoll und begann, die politische Debatte in Brasilien ernsthaft zu beeinflussen. Und noch weniger überraschte mich der Aufstieg von Silas. Denn es ward geweissagt, dass aus den Heerscharen des Herrn einer wie Malafia hervortrete, ein Meister der Redekunst, geschult in den freien Künsten (Psychologe, nach eigenen Angaben) und frei von jeglicher Angst vor dem Teufel (er spricht kaum von Satan).

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Silas bringt alles mit, was einem die Zustimmung des brasilianischen Mainstreams sichert. Weder ist er R. R. Soares, den man nur selten ohne Scheck in den Händen sieht, noch ein Pastiche namens Edir Macedo, das sich bereitwillig in alttestamentarische Gewänder hüllt. Was Silas auch nicht tut: Wunderöle aus dem Heiligen Land verkaufen, Lahme wieder gehend machen, Heiligenbilder zertreten oder behaupten, der Orisha Eshu sei der Leibhaftige. Auf den ersten Blick ist Silas ein Prediger, der nicht die üblichen Vorurteile gegen Evangelikale auf sich zieht.

Denn es ist sehr wohl möglich, Vorurteile ihnen gegenüber zu haben, und man kann sie in der wahrlich einfachen Formel zusammenfassen: Je größer die Angst vor dem Teufel, desto ärmer der Gläubige. Das Wort «gläubig» wurde hierbei ins semantische Feld der Armut eingemeindet; bis heute spricht man von «gläubigen Haaren», «gläubiger Kleidung», «gläubigem Lärm». Kein Wunder, dass vor ein paar Jahren im Zuge der ersten evangelikalen Aufwallungen einige coole Kirchen wie die neocharismatische Bola de Neve Church aufploppten, deren visuelle Identität ans Skaten und Surfen geknüpft ist. Wie die Namen der Condos in Barra da Tijuca waren alle ihre Leitsprüche englisch, und ihre stylischen Sticker klebten auf Luxusautos. Deutliche Anzeichen der Absicht, sich vom Pöbel abzuheben: Auch Jesus Nouveau Christ machte die Shaka-Geste.