Musk und Bannon, FDP und AfD widersprechen sich nur scheinbar – eigentlich brauchen Libertäre und Völkische einander. Die einen haben nur Methoden und keine Inhalte, die anderen nur Idealbilder und keinen Plan: Ihre Koalition ist inkohärent aber schlagkräftig, ihr Ziel Disruption und Gewalt.
Enzo Traversos Gaza im Auge der Geschichte beginnt mit dem Feuersturm von Hamburg 1943 und entfaltet von dort eine psychopolitische Analyse, die wie für deutsche Sensibilitäten geschrieben scheint: ein Angebot, noch einmal neu und anders über den 7.10., seine Vorgeschichte und Folgen nachzudenken.
Mit dem Narko-Musical-Thriller Emilia Pérez wollte Hollywood einen alternden weißen Regisseur und eine mexikanisch inspirierte trans Schauspielerin für ihren vermeintlichen Wagemut feiern. Nun killen rassistische Tweets von Karla Sofía Gascón die Party. Der eigentliche Skandal liegt aber woanders.
Warum wählen breite Bevölkerungsschichten faschistische Parteien, auch wenn rechte Politik ihnen schadet, ja sie verachtet? Auf diese Frage, die sich angesichts der Erfolge von Trump und AfD erneut stellt, sucht und findet die Linke seit den 30ern Antworten – zumindest in der Theorie.
Der eine ging von Osten über die Grenze, den anderen zog es noch weiter westwärts: Thomas Brasch und Rolf Dieter Brinkmann. Ihre wieder oder erstmals herausgegebenen Texte zeugen von Krämpfen und zudringlicher Verletzlichkeit. Und einer Vergangenheit, die zur Abwechslung mal wirklich vergangen ist.
Würde Victor Heringer noch leben, wäre er fünf Jahre älter als Enis Maci und fünf Jahre jünger als Leif Randt. Begegnet ein europäisches Publikum dem begnadeten Schriftsteller aus Rio also ähnlich wie dieser Generation? Oder stecken wir auch beim Lesen in geopolitischer Überheblichkeit fest?
Crônicas sind Zeitkapseln, die blitzschnell von Kritik in Karikatur und Erzählung umschalten. Für die Bewusstseinsbildung in Lateinamerika sind sie so wichtig wie Landreform oder testimonio; in Brasilien schrieb Victor Heringer von 2014 bis 2017 ein paar herausragende Exemplare. Eine Auswahl
Der Triumph der evangelikalen Kirchen in Brasilien war auch ein Mediencoup. Während katholische TV-Messen wie Schlossführungen in Pantoffeln wirkten, bekam man bei den Pfingstbewegungen das Heilige Feuer in HD, uferlose Versprechen und abgefahrene Stories, «alles beruhend auf wahrer Begebenheit».
Wenn der Berliner Bürgermeister die UN-Beauftragte Francesca Albanese cancelt und Scholz und Merz sich offen gegen die Verfahren internationaler Gerichte zu Israel stellen, wird klar: Nicht mehr die Sorge vor Antisemitismus motiviert die deutsche Staatsräson, sondern die Angst vor dem Völkerrecht.
Deutsche Außenpolitik will wertegeleitet sein und internationales Recht verteidigen, Geschäfte mit problematischen Regierungen hat man trotzdem oft und gerne gemacht. Sind die Waffenlieferungen an Israel während der Zerstörung Gazas ein besonders eklatanter Doppelstandard, oder business as usual?
Was nützt Maschinenstürmen gegen KI, und was das Erzählen, wenn ChatGPT schon die Ghost Writer ersetzt? Im Stop-and-Go von Reflexion, Ironie und Versenkung rüttelt Jonas Lüschers Roman Verzauberte Vorbestimmung so ehrgeizig wie kaum ein anderer an der Blackbox Gegenwart. Mit den richtigen Mitteln?
Im «Charlottengrad» der 1920er lebten nicht nur Nabokov und Schklowski, sondern eine halbe Million exilierter Sowjetbürger. Roman Utkins gleichnamiges Buch zeigt diese Community in ihrer ganzen existentiellen Ambivalenz – und wirft ein schillerndes Gegenlicht auf Berlins heutige Exilanten.
«Ich hasse das Telefon», schrieb John le Carré an seinen Verleger, und auch sonst verschickte er wie manisch Briefe: an Philip Roth, Gary Oldman oder Margaret Thatcher. Eine wuchtige Ausgabe zeigt ihn auf 700 Seiten als politisch Wankelmütigen, der am liebsten zwei Dinge tat: umgarnen und absagen.
Miljenko Jergovićs Sarajevo Marlboro-Erzählungen erschienen noch während der 1452-tägigen Belagerung der Stadt und halfen dabei, sie zum literarischen Erinnerungsort Europas zu machen. 30 Jahre später vermittelt ein Doppelgänger-Fortsetzungs-Band den Eindruck, es hätte sich kaum was geändert.
In den Ruinen der Sozialdemokratie klammern sich Berlin Gothic-Romane an die Versprechen aus Sexpositivity und günstigem Wohnraum. Auch Aria Abers Good Girl ist ständig im Berghain, findet jedoch in migrantischen Realitäten ein starkes Gegengewicht. Reicht das, um Berlin-Fantasien auszunüchtern?