Trajan baut

Als der römische Kaiser Trajan im Jahr 106 nach Christus eine Brücke über die Donau bauen ließ, erschloss er damit vom heutigen Bulgarien aus die neu eroberte Provinz Dakien, das Gebiet des heutigen Rumäniens. 1,1 Kilometer lang war die Trajansbrücke, die längste gebaute Brücke der damals bekannten europäischen Welt, und sie sollte es eintausend Jahre lang bleiben. Schade bloß, dass sie schon 170 Jahre später wieder abgerissen wurde, von den Römern selbst.

Die Provinz Dakien war nicht zu halten, der Abriss sollte den südlichen Landstrich schützen. An dieser Stelle bin ich ins Schlingern geraten, als ich den sächsischen Siebtklässlern einen kleinen Vortrag darüber hielt – warum, spielt jetzt keine Rolle –, wie sich die lateinische Sprache in Rumänien festsetzen konnte, trotz der im Vergleich zu anderen Provinzen sehr kurzen Römerherrschaft. Beim Reden überkam mich die Sorge, sie könnten aus dem Ende der Trajansbrücke vorschnelle Schlüsse ziehen: Schon die Römer hätten gewusst, Ausländer müssten mit allen Mitteln draußen gehalten werden. Wenn man Unterrichten nicht gewohnt ist, ist es eine psychedelische Erfahrung. Man hört sich selbst etwas sagen, und im Kopf tauchen fünf Möglichkeiten auf, wie die eigenen Worte falsch verstanden oder zumindest mit ganz anderem Schwerpunkt abgespeichert werden könnten, als man selbst es vorgesehen hat.

Für mich ist die Trajansbrücke ein Bild dafür, dass es eine große Investition ist, eine Brücke zu bauen – es ist nichts, das man auf die leichte Schulter nehmen kann. Eine Brücke ist eine große Auflehnung gegen die Unwahrscheinlichkeit. Immer ist es wahrscheinlicher, dass es keine Brücke gibt. Und wenn eine Brücke gebaut worden ist, dann wird sie in beide Richtungen benutzt, und sie verändert das Land vielleicht für immer. Unterrichten verändert das eigene Denken. Für das Verstehen gilt das auch. Wenn man etwas verstehen will, das einen befremdet, dann ist das eine Investition, die mit Risiken einhergeht – wenn man etwas durchdringen will, wird man das Risiko eingehen müssen, durchdrungen zu werden.

Wahlkampf in Sachsen

«Abschieben Abschieben Abschieben» war das brutalste AfD-Plakat in diesem Sommer 2024, «Abschiebung schafft Wohnraum» das perfideste und «Corona Unrecht aufarbeiten» dasjenige, das mich am meisten nachdenklich gemacht hat. Denn in meiner ganz persönlichen Aufarbeitung der Pandemie (während der Zeit des kommunikativen Beschweigens im letzten Jahr, in meinem Tagebuch) habe ich festgestellt: Ich hätte mir gewünscht, von mir selbst und für mich selbst, ich hätte mehr getan, um Menschen in meinem Umkreis davon abzuhalten, sich gedanklich zu verrennen, sich völlig in das Thema zu verbeißen, auf der einen wie auf der anderen Seite der Spaltung. Ich hätte mehr tun können, um Menschen von der Gelassenheit zu überzeugen, für die ich mich stellenweise eher geschämt habe: Ich kann mich darüber leider nicht so aufregen, habe ich einige Male gesagt und dann entschuldigend die Schultern hochgezogen. Ich fühlte mich sehr einsam, wenn die Überzeugtheiten auf beiden Seiten steil gingen und meine Gelassenheit (in Ermangelung eines besseren Wortes) nicht mit derselben Überzeugtheit und erst recht mit keinem Aktionismus aufwarten konnte. Die seltenen Gespräche mit Freunden oder Fremden, die es ähnlich empfanden, habe ich aufgesogen wie Honig vom Himmel.

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Aber wenn ich eloquenter gewesen wäre, und mutiger, oder aufgeregter, vielleicht hätte ich dann meinen Beitrag dazu leisten können, Menschen davon abzuhalten, ihre Arbeit, Familie, Angestellten und ihre Lebenszeit zugunsten einer Kontroverse zu vernachlässigen. Ich hätte eine Brücke schlagen können, meine Position in der Kontroverse – zwischen den Stühlen, irgendwie im Fluss – war mit der eines Brückenkopfes vergleichbar. Aber ich bin keine Brücke gewesen. Der Gedankengang, den das AfD-Plakat bei mir auslöst, ist, dass ich mir diese Pandemie-Frage später auch in Bezug auf den AfD-Zulauf und die Wut auf die Migrationspolitik stellen muss: Habe ich in diesem Wahlkampf, bei allem, was ich für eine gewisse Partei getan habe, zu wenig versucht, die aufgeregten Menschen von ihrer Aufregung abzubringen?