Angst, sollte man meinen, wäre eine angemessene Reaktion auf die Klimakrise. Längst sind die Auswirkungen der Erderwärmung auch von den Wohlstandsgesellschaften des globalen Nordens nicht mehr in ferne Länder oder Zukünfte zu externalisieren. Die enorme Zerstörungskraft der durch Starkregen hervorbrechenden Hochwasser kann, wie sich zeigt, das spanische Valencia ebenso treffen wie Ahrweiler im deutschen Ahrtal, verheerende Brände können große Bezirke Kaliforniens ebenso in Schutt und Asche legen wie weite Teile Griechenlands. Dennoch bleibt die große Panik noch immer aus. Der wütend-verzweifelte Ausbruch I want you to panic!, mit dem die damals 16-jährige Greta Thunberg 2019 die Verantwortlichen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos konfrontierte, ist zwar berühmt geworden, aber gemessen an seiner intendierten Wirkung doch weitgehend kraftlos geblieben.

Dieser Umstand ist freilich selbst hochgradig erklärungsbedürftig, und es mehren sich die wissenschaftlichen Versuche, das Ausbleiben der Angst in einer objektiv beängstigenden Situation zu verstehen. Die Philosophin Alenka Zupančič beispielsweise erklärt sich dieses Phänomen unter anderem so, dass der verstörende, potenziell traumatisierende Charakter einer Sache psychologisch zuweilen durch ein «überstürztes Wissen» aufgefangen und im gleichen Zug derealisiert werden kann.1 Indem wir sie souverän erkennen zu können meinen, blicken wir auf die Katastrophe, als sei sie etwas, von dem wir nicht wirklich betroffen sind. Es wäre dann paradoxerweise nicht zuletzt das Wissen um die Katastrophe selbst, das die ihr angemessene Angstreaktion blockiert.

Im Anschluss an Günther Anders, der seinen Mitmenschen in den 1950er Jahren angesichts der atomaren Bedrohung bereits eine «Angst vor der Angst» attestierte, führt die Kriminologin Christine Hentschel das Problem der ausbleibenden Angstreaktion unter anderem darauf zurück, dass die Klimakrise in ihren zeitlichen und räumlichen Ausmaßen unser gewöhnliches Vorstellungsvermögen übersteigt, dass sie im Verhältnis zur menschlichen Geschichte «überschwellig», das heißt zu groß für die menschliche Proportion zu sein scheint. Mit Anders sieht Hentschel deshalb die Notwendigkeit für ein «Stretching der Einbildungskraft» gegeben, das helfen soll, die Zusammenhänge, um die es unter der Überschrift «Klimakrise» geht, in ihren verschiedenen Dimensionen vorstellbar zu machen.2 Nur durch die Vermittlung der Einbildungskraft könne dem Wissen das Fühlen an die Seite gestellt werden, denn ohne die Dimension des Fühlens verbleibe das Wissen, so Anders 1956 in Die Antiquiertheit des Menschen, unbegriffen und damit «in der nächsten Nachbarschaft des Nichtwissens».

Der Philosoph Jan Slaby hingegen sieht die Vergegenwärtigung der Katastrophe überhaupt nicht durch ein vom Fühlen alleingelassenes Wissen, sondern vor allem durch das verstellt, was bis in die Affekthaushalte der Einzelnen hinein als soziale Normalität etabliert ist. So habe das Ausbleiben einer angemessenen affektiven Reaktion auf die Klimakrise seinen Grund nicht zuletzt in einem «tiefen Investiertsein in den Status Quo».3 Das Welt- und Selbstverständnis in den Wohlstandsgesellschaften basiere auf dem einsozialisierten Absehen von den umweltschädlichen und sozial ungerechten Implikationen der eigenen Lebensform. Nach Slaby ist es also hauptsächlich die von Henrike Kohpeiß so bezeichnete habitualisierte «bürgerliche Kälte», die für das verantwortlich ist, was er das «gesellschaftlich Ungefühlte» nennt.

The best of Berlin Review
Our free weekly Newsletter

Sign up

So unterschiedlich diese Erklärungen ansetzen mögen – alle drei Positionen sind sich mit der jungen Greta Thunberg darin einig, dass nur eine an Panik grenzende Form der Angst eine angemessene Antwort auf die sich zunehmend als Katastrophenzusammenhang zu erkennen gebende Klimakrise sein kann. Nur einer solchen affektiven Reaktion wird die nötige Kraft zugetraut, auf die Ebene der Handlung durchzuschlagen. Von dieser sehr voraussetzungsvollen Annahme möchte ich einen Schritt zurücktreten und die Aufmerksamkeit einem Gefühl zuwenden, das hinsichtlich seiner Affektenergie zwar im Vergleich zur panischen Angst sehr viel moderater, dafür aber deutlich häufiger auftritt. Angesichts der ökologischen Veränderungen und Krisen der letzten Zeit macht sich nämlich gerade im globalen Norden zunehmend ein Gefühl breit, das in einem durchaus intimen Verhältnis zur Angst steht: das Gefühl des Unheimlichen.

«Nicht nichts»

Man könnte den Verdacht hegen, dass sich das Gefühl des Unheimlichen inklusive seiner niedrigen Affekttemperatur schon allein deshalb in politisch-moralischer Hinsicht diskreditiert, weil es eine Distanz zu jeder direkten Gefahr voraussetzt. Tatsächlich wird sich das Gefühl des Unheimlichen nicht bei jenen einstellen, die unmittelbar und konkret bedroht sind. Personen, denen bei Starkregen das Wasser wortwörtlich bis zum Hals steigt oder die ihre Wohnungen wegen nahender Waldbrände verlassen müssen, werden sich sorgen und fürchten, womöglich begleitet von einem Gefühl der Panik, aber diesen Menschen wird nicht unheimlich zumute sein.

Hält man sich terminologisch an Martin Heidegger, so ist die Furcht im Unterschied zur Angst deshalb nicht mit dem Gefühl des Unheimlichen verbunden, weil sie sich auf etwas Bestimmtes bezieht. Die Furcht fürchtet sich immer vor etwas Konkretem in der Welt – vor dem steigenden Wasser oder dem nahenden Feuer. Die Angst aber richtet sich auf nichts Bestimmtes. «Eigentlich war ja nichts» wird denn auch häufig gesagt, wenn sich ein Zustand der Angst gelegt und sich das von ihr befallene Gemüt wieder beruhigt hat. Das zumindest ist die Beobachtung, die Heidegger in Sein und Zeit anstellt. Die Redewendung «es war eigentlich nichts», die üblicherweise die Angst abschütteln soll, bringt jedoch etwas für die Angst Wesentliches zur Sprache. Gegenstand der Angst sei zwar nichts Konkretes, ebendies aber mache ihre ganz eigene Qualität aus: Weil die Quelle der Bedrohung im Fall der Angst unbestimmt bleibt, sich also nicht in der Welt dingfest machen lässt, sei ihr eigentlicher Gegenstand folgerichtig gar nichts in der Welt, sondern das «In-der-Welt-Sein selbst». Das «beruhigt-vertraute In-der-Welt-Sein» verkehrt sich im Modus der Angst, wie Heidegger formuliert, in ein «Un-zuhause». «Nichts anderes», schreibt er weiter, «meint die Rede von der ‹Unheimlichkeit›.»

Damit erscheinen nun Angst und Unheimlichkeit aufs Engste verwandt. Allerdings kann man sich sogleich fragen, ob mit dieser Heidegger’schen Bestimmung nicht verfehlt wird, worum es im Blick auf die Klimakrise geht. Anders als ihre jeweiligen Manifestationen in Extremwetterereignissen ist zwar auch die Erderwärmung als solche nicht wie ein sinnliches Objekt in der Welt dingfest zu machen. Aber sie ist nicht nichts. Timothy Morton, eine der bekanntesten Stimmen philosophisch ambitionierter Ökokritik, spricht daher von der Erderwärmung als einem «Hyperobjekt». Hyperobjekte zeichnen sich nicht nur durch ihre enorme, das menschliche Maß sprengende zeitliche und räumliche Ausdehnung aus, sondern auch dadurch, dass sie selbst nicht lokalisierbar sind. Kein noch so extremer Niederschlag des Hyperobjekts Erderwärmung – sei es in der Form von Hochwassern, Dürren oder Wirbelstürmen – ist also selbst das Hyperobjekt Erderwärmung. Das Hyperobjekt zeigt sich den Sinnen nie als solches, weshalb seine Existenz prinzipiell latent bleibt und in Vergessenheit geraten kann. Wenn sich die Nachrichten in unseren finsteren Zeiten wieder auf manifeste Kriege und Konflikte konzentrieren, kann es daher so scheinen, als sei – zumindest in ökologischer Hinsicht – alles wie immer, als sei also «eigentlich nichts». Dabei wissen wir um die Wirklichkeit der Erderwärmung, und wir können uns diese Wirklichkeit auch anhand von Modellen und Statistiken veranschaulichen. Aber Dinge abstrakt zu verstehen, heißt noch lange nicht, sie zu realisieren, sich konkret vorzustellen und affektiv aufzunehmen. Das «Ja ja, ich weiß» ist im Kontext der Rede vom Klimawandel vor allem ein Symptom der Abwehr und gerade kein Ausdruck wirklichen Begreifens der fraglichen Zusammenhänge. Es besteht vielmehr ein Gefälle zwischen dem Wissen um die Erderwärmung auf der einen und dem Vorstellen und Fühlen ihrer Realität und Konsequenz auf der anderen Seite. Denn die Erderwärmung ist nicht nur im Verhältnis zur menschlichen Proportion «überschwellig», sie sperrt sich überhaupt der sinnlichen Auffassung.

Jenseits des sinnlichen Begreifens

Dass sich das Hyperobjekt Erderwärmung trotz seiner latenten Omnipräsenz den Sinnen entzieht, ist tatsächlich nur eines der aisthetischen, also die sinnliche Wahrnehmung betreffenden Probleme im Horizont des anthropogenen Klimawandels. So verwehrt sich auch der Zusammenhang zwischen den Handlungen Einzelner (z.B. Fleischessen, Autofahren, Fliegen) einerseits und den desaströsen Effekten andererseits einem unmittelbar sinnlichen Begreifen, die derartiges Handeln durch seine milliardenfache Vervielfältigung und ökonomisch-politische Eingebundenheit auf dem Planeten zeitigt. Und auch das Wissen darum, dass sich die vergleichsweise überschaubare Dauer menschlicher Kulturgeschichte im Zeichen der jüngsten erdgeschichtlichen Entwicklungen mit der Tiefenzeit der Naturgeschichte «vermengt» – dass sie also mit einer unvordenklichen Vergangenheit ebenso wie mit einer unvorstellbaren Zukunft in Verbindung gebracht werden muss –, scheint eher einen leichten Schwindel auszulösen als einen sinnlichen Halt in der Wirklichkeit zu schaffen. Die sinnliche Wahrnehmung ist in kognitiv einsehbare Zusammenhänge eingelassen, die sie übersteigen und die sich ihr entziehen.