Du mußt gegen den Wind laufenThomas Brasch
SuhrkampJan 2025 €42 877 S.
Westwärts 1 & 2Rolf Dieter Brinkmann
RowohltFeb 2025 €52 448 S.
Ich gehe in ein anderes Blau: Rolf Dieter Brinkmann – eine BiografieMichael Töteberg & Alexandra Vasa
RowohltFeb 2025 €35 400 S.

Von zwei Männern wollen wir berichten, die einst in Deutschland ausgezogen sind, um Dichter zu werden. Der eine, der jüngere von beiden, entstammte dem Kulturadel der Sozialistischen Einheitspartei der Deutschen Demokratischen Republik. Der andere, ältere, wurde noch unter Hitler geboren und musste in der westdeutschen Nachkriegsprovinz aufwachsen, im katholischen oldenburgischen Land. Beide haben ihre Herkunft nie verwunden.

Der aus dem Osten trat als Götterliebling in Erscheinung, mit anmutigen Versen und kurzen Prosastücken: drängendes Leid, getragen von viel nervöser Energie. Der aus dem Oldenburgischen inszenierte sich in Prosa, Lyrik und Bildcollagen als Wüstling, stampfte im Schmutz herum und versteckte darin ab und zu ein paar Edelsteine. Beide wollten auf ihre Weise Unmittelbarkeit – wollten ihre Position bestimmen, der eine als Rebell gegen die widersprüchlichen Aufträge zweier verfeindeter Systeme, der andere als männlicher Mann auf den Abraumhalden der unter seinen Füßen entstehenden Popkultur.

Beide zog es in den Westen, den einen nach Kalifornien, aus Sehnsucht, den anderen nach Westdeutschland, weil er keinen anderen Ausweg hatte. Beide erlangten sie als Hoffnungsträger der deutschen Literatur beträchtlichen Ruhm. Der Ältere wurde, noch ziemlich jung, in London von einem Auto totgefahren, das war Rolf Dieter Brinkmann. Der Jüngere war dazu verdammt, älter zu werden, hielt die nervöse Energie auch mit Hilfe von Kokain auf dem Level seiner Jugend und starb daran mit 56 Jahren in Berlin (früher Ost). Das war Thomas Brasch.

Zerschlagen liegt «Brasch» auf der Straße

Der Suhrkamp-Band mit der gesammelten Prosa von Thomas Brasch, der am 19. Februar achtzig Jahre alt geworden wäre, ist ein Ziegelstein in Weiß und trägt den Titel Du mußt gegen den Wind laufen. Damit ist die Grundspannung von Braschs Werk gut beschrieben – es gibt Rebellion, aber auch einen Auftrag von außen. Am besten funktionieren seine Texte in der Zerrissenheit zwischen Pflichterfüllung und Pflichtverleugnung.

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Literaturarchive sind traumhafte Orte. Man kann die Sorgfalt und Sachkenntnis, mit der die Nachlässe von Autor:innen, ihre unveröffentlichten Vorstudien, Entwürfe und Briefe dort gepflegt werden, nicht unterschätzen. Martina Hanf, die inzwischen verstorbene Herausgeberin des Bandes, war lange Zeit wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Künste Berlin. Aus deren Archiv stammt Material aus dem Nachlass, das hier zum ersten Mal veröffentlicht wird. Dazu gehören erste Skizzen, die Brasch mit fünfzehn oder sechzehn Jahren schreibt (in einer erzählt er atemlos aus dem Leben von Luigi und Guiseppa, inspiriert vom neorealistischen Kino) und seine Einreichung für den 3. Wettbewerb des Playboy für erotische Literatur 1997. Da ist er 52 und hofft auf 33.000 D-Mark Preisgeld. Die Anmerkungen verzeichnen dazu eine handschriftliche Notiz: «ich habe es / in der falschen / Sprache geschrieben / aus Furcht z. B.»

Im Buch stehen diese Texte für sich, ohne Jahreszahl, als wäre jeder einzelne zeitlos heilig. Man muss sich umständlich durch die umfangreichen, oft wirklich spannenden Anmerkungen blättern, um herauszubekommen, aus welchem Jahr er stammt und auf welche Lebenswirklichkeit des Autors er sich bezieht. Ist Brasch vielleicht elf Jahre alt und besucht gerade die Kadettenschule der Nationalen Volksarmee? Bezieht sich das auf seine siebenundsiebzig Tage im Gefängnis mit achtundzwanzig Jahren? Oder auf seine Ausreise in den Westen 1976, mit der Lebensgefährtin Katharina Thalbach?