Wenn sich die Dinge rapide ändern, braucht es eine neue Sprache, um ihnen gerecht zu werden. Die tägliche Verschiebung der politischen Bedingungen, unter denen Widerstand organisiert, Reisen geplant oder eine Zukunft imaginiert werden kann, bringt das Vertrauen auf übliche Reaktionsmuster durcheinander. Sprachregister, die sonst zur Verfügung stehen, um zu beschreiben, was geschieht und wem es widerfährt, kommen jeden Tag an neue Grenzen. Als Folge davon sind Schock und Sprachlosigkeit zu vernehmen. Wahlerfolge der AfD, Russlands Forderung nach einer weitgehenden Kapitulation der Ukraine, die hektische Aufrüstung in der EU, vor allem aber der weit strahlende politische Zerfall der USA lassen kaum jemanden kalt. Doch im permanenten Überraschtsein von diesen Entwicklungen zeigt sich eine Hilflosigkeit, die Kälte gleichen kann.
Die größte Katastrophe, zu der in deutschen Medien beredte Sprachlosigkeit herrscht, ist der fortgesetzte Genozid in Gaza. Am Ende fällt es allen leichter, systematische Gewalt zu rechtfertigen, als das von ihr verursachte Leid auf den Begriff zu bringen. «Dass es so weitergeht, ist die Katastrophe», sagt Benjamin.
Doch nicht nur etablierte deutsche Medien sind in Bedrängnis. In New York, wo ich gerade bin, habe ich bemerkenswerte Gespräche über das, was uns umgibt. Neben dem in linken Kontexten geteilten Ärger über die Versäumnisse der Demokratischen Partei, der wenigstens nichts Überraschtes an sich hat, beherrscht die Paralyse die liberale Mitte. Erzwungenermaßen üben sich auch linke Strukturen im Stillhalten, um sich nicht durch ungünstig terminierte Ein- und Ausreisen oder unvorsichtige Demonstrationsteilnahmen den erratischen Zugriffen des Immigration and Customs Enforcement (ICE) auszusetzen.
Studierende und Wissenschaftler:innen mit zeitlich begrenzten, aber inhaltlich begründeten Aufenthaltsrechten werden von der US-Regierung in ihre Herkunftsländer geflogen oder interniert, meistens, weil sie für ein freies Palästina demonstriert haben. Die Berliner Innenbehörde nahm sich daran ein Beispiel, als sie vier Aktivist:innen Anfang April mit amerikanischer, polnischer und irischer Staatsbürgerschaft ohne Gerichtsurteil Ausreisebescheide zukommen ließ. «Ihr wolltet, dass die queeren Kids und pinkhaarigen Aktivist:innen endlich die Schnauze halten?», schrieb Adrian Daub aus dem kalifornischen Stanford neulich im Freitag. «Jetzt tun sie es.»
Die Logik der Zugriffe in den USA ist selbst den versiertesten Analyst:innen des aufkommenden Faschismus noch nicht klar: Anscheinend ist die Intention, möglichst großflächig Angst zu verbreiten, bis sich niemand mehr bewegt. Mögliche Zielpersonen, heißt es, werden durch KI-gestützte Social-Media-Scans ermittelt. Wo dann wirklich zugegriffen wird und wo bloß observiert, ist schwer zu sagen. Dass der Schrecken mit Mahmoud Khalil an der Columbia University seinen Anfang nahm, macht angesichts der Stärke der dortigen Bewegung Sinn und steht möglicherweise auch im Zusammenhang mit der Bereitschaft pro-israelischer Gruppen in New York, der Regierung und Polizei eigene Namenslisten zu übermitteln. Ende April befindet sich Khalil noch immer in Haft in Louisiana – seine Frau hat inzwischen das gemeinsame Kind zur Welt gebracht.