Rowohlt Oct 2025 €26 400 pp.
Zwölf Jahre sind vergangen seit dem letzten Buch von Thomas Pynchon. Das ist lange genug, um nicht genau sagen zu können, ob sein jetzt doch noch erschienener neunter Roman «lange erwartet» wurde, wie die Verlage insinuieren, wenn es um Bestseller, Celebrities oder Nobel-Aspirantinnen geht. Im Fall des inzwischen 88-jährigen Autors, der den dynamitumwobenen Award wohl nicht mehr erhalten, geschweige denn in persona entgegennehmen wird, ist es womöglich so: von seiner Gefolgschaft lange erwartet, von allen anderen eher nicht.
Wobei auch unter den hartgesottenen, über Chatsyndikate und das ritterlich umkämpfte Pynchon-Wiki rhizomatisch vernetzten Anhängern ein Raunen umging. Wäre doch denkbar gewesen, Pynchon hätte seine gewaltige Karriere mit einem stummen Nicken in Richtung Entropie einfach ausrieseln lassen. Anders als Philip Roth, der mit Nemesis 2012 seinen Abschied verkündete und sich daran hielt. Oder Don DeLillo, der trotz der schwindenden Kräfte, die man fürs Beisammenhalten seiner konspirativ driftenden Plot-Paneele so dringend benötigt, noch manches entbehrliche Buch auf Cosmopolis folgen ließ.
Zu Pynchons vielen Talenten zählt das Austricksen der Erwartungen, zumal derer, die sich von seinen Büchern Handreichungen zur Gegenwart erhoffen. Über den Umweg von Fabulation und Mikrogeschichte die aktuelle Zündstufe des Deep State ermessen – auf jedem Pynchon-Roman seit Gravity’s Rainbow lastet diese Hypothek, und je weniger der Autor sie abzuzahlen bereit ist, desto lauter machen die Gläubiger ihre Ansprüche geltend. Über die Jahre wurde so aus einem Katz-und-Maus-Spiel, das sich auf enzyklopädische Abschweifungen einen halbwegs vernünftigen Reim machen muss, ein Wettlauf von Henne und Ei, dessen Grundfrage lautet: Was war zuerst da – Pynchon oder die Außenwelt? Seine prophetische Fiktion, zu der Wirklichkeit aufschließen muss? Oder das Gefüge prästabilierter Machenschaften, für das jede Sprachkunst zu spät kommt?
Bowling und Bier
Beinahe scheint es, als könnten die Enden wenigstens dieser Parabel in Shadow Ticket zusammenlaufen. Die Erzählung beginnt in der Bowling- und Bierstadt Milwaukee zu Zeiten von Psychoanalyse und Prohibition. Der Faschismus ist sehr in Mode und schwappt wie heute, nur in der Gegenrichtung, über den Atlantik. Radiowellen verdrängen die Unschuld des Stummfilms. «Wer schlau ist, geht davon aus, dass es in den nächsten zehn Jahren Krieg gibt.»