Journeys of the Mind. A Life in HistoryPeter Brown
Princeton University Press Juni 202338 $ 736 S.
Der Schatz im Himmel. Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des römischen WeltreichsPeter Brown übers. v. Michael Bayer und Karin Schuler
Klett-Cotta Jan. 201742 € 957 S.
Die Keuschheit der Engel. Sexuelle Entsagung, Askese und Körperlichkeit am Anfang des ChristentumsPeter Brown übers. v. Martin Pfeiffer
Hanser Jan. 1991ca. 14 € 608 S.
Augustine of Hippo. A BiographyPeter Brown
University of California Press Jan. 201329.95 $ 568 S.

Seit den 1960er Jahren ist der Historiker Peter Brown bekannt für seine Versuche, die Menschen der Spätantike so zu verstehen, wie sie sich selbst verstanden. «Ein Leben in Fragen» könnte der Untertitel seines neuen Buches auch lauten. In der 2023 erschienenen Autobiografie Journeys of the Mind. A Life in History geht der 1935 geborene Brown den Voraussetzungen, Umständen und Triebkräften seines eigenen langen Lebens als Wissenschaftler nach.

Dass die frühen Christen in den ersten Jahrhunderten anfingen, Heilige zu verehren, ist eine allseits bekannte, mitunter belächelte, aber selten untersuchte Tatsache. Die Antike baute Tempel, das Mittelalter Kathedralen – aber warum konnten in der Spätantike auf einmal einzelne Menschen als heilig gelten? Wie kam es dazu, dass eine offenbar wichtige gesellschaftliche Funktion in dieser Epoche ausgerechnet solchen Menschen zukam, die der Gesellschaft den Rücken kehrten? Und warum wurde aus einer kleinen jüdischen Sekte, die Armut predigte, innerhalb weniger Jahrhunderte die reichste und mächtigste Institution des gesamten Mittelmeerraumes?

Der Historiker Peter Brown stellt solche Fragen nicht, weil er eine Antwort bereits in der Tasche hätte, beispielsweise in Form einer Polemik gegen die Kirche. Er stellt solche Fragen, weil er die Menschen der Spätantike verstehen und, wie ein Übersetzer, heutigen Lesern und Leserinnen verständlich machen will. Denn viele gesellschaftliche Phänomene, die in dieser Zeit ihren Anfang nahmen, rufen heute entweder Irritation oder Desinteresse hervor, vor allem aber Unverständnis: Dämonenglauben und Hexenverfolgung, Reliquienkult und das Ideal der Jungfräulichkeit. Es ist eine politisch instabile Zeit voller Umwälzungen – allgemein wahrgenommen als eine «dunkle» Zeit. «Glorreiche Anfänge und goldene Zeitalter haben mich einfach nie fasziniert», schreibt Brown in seiner Autobiografie Journeys of the Mind lapidar.

Drei intensive Jahre, von 1953 bis 1956, studiert Brown in Oxford Geschichte. Und Geschichte heißt damals: britische Geschichte, möglichst glorreich. Es zählt die Chronik mächtiger (britischer) Institutionen und großer Männer. Der Einfluss von Ideen und Religion auf den Lauf der Geschichte oder gar das Alltagsleben vergangener Jahrhunderte ist nicht von Interesse. Das Studium ist immer noch darauf ausgelegt, durch anspruchsvolle Abschlussprüfungen gewiefte Beamte für das britische Empire auszusieben. Entsprechend eng ist der damalige Fokus der Disziplin: Wenn sie nicht mit England in Verbindung stehen, haben selbst Themen zur Geschichte Kontinentaleuropas einen schweren Stand.

Was die entscheidenden frühen Jahre seiner Karriere anbelangt, legt Peter Brown besonderes Gewicht auf die Rolle einzelner Menschen, die ihm als Tutoren, Mentoren und Gesprächspartnerinnen zur Seite stehen, auch wenn, wie er im Rückblick irritiert feststellt, er selbst nie von oder gemeinsam mit Frauen unterrichtet worden ist. Sogar Lehrer aus der Schulzeit in Irland, denen er wegweisende Unterstützung verdankt, lässt er lebendig werden und mit ihnen auch ein Bildungssystem der Vergangenheit, in der in manchen Klassenräumen noch Bücherregale und schwere Klubsessel standen. An der Universität gab es dann weder Fotokopierer noch Schreibmaschine, keine Vorlesungen, keine Seminare, keine Anwesenheitspflicht – manchmal habe er es einfacher gefunden, seinen späteren Studierenden «die Institutionen des tiefsten Mittelalters zu erklären, als den Lehrbetrieb von Oxford in den 1950er und 60er Jahren».

Erst als ab Mitte der 60er Jahre die geburtenstarken Jahrgänge an die Hochschulen drängen, verändert sich die Universitätslandschaft radikal. Für ein paar Jahre ist Brown Institutsleiter am Royal Holloway College der University of London und versinkt in administrativen Aufgaben (immerhin, setzt er hinzu, hatte da der Sparzwang unter Margaret Thatcher noch nicht eingesetzt). In solchen Stressphasen waren es Herausgeber wie Bob Silvers, die ihn motivierten, weiter zu schreiben, auch für ein nicht-akademisches Publikum: Die Textanfragen des Mitbegründers der New York Review of Books waren «wie Atemlöcher, die jemand durch einen immer dicker werdenden Eispanzer schlägt».

Nicht genug, dass Browns Lieblingsepoche, die Spätantike, in der Geschichtswissenschaft der 1950er Jahre kaum vorkam: Sie besaß noch nicht einmal einen richtigen Namen. Als der 21-jährige Oxford-Absolvent 1956 ein siebenjähriges Stipendium für das All Souls College erhält und eine Doktorarbeit über ein spätantikes Thema beginnt (die er im Übrigen nie abschließt; damals kein Hindernis für eine Unikarriere), ist der Begriff der Spätantike in der englischen und französischen Forschung noch gar nicht geläufig.

Anstelle von Late Antiquity spricht man vom «Lower Roman Empire» bzw. «Bas-Empire», was den Fokus automatisch auf das Territorium des Römischen Reiches und dessen unrühmlichen Niedergang beschränkt. «Spätantik» hingegen ist ein Adjektiv, das wenige Jahrzehnte zuvor von deutschen Kunsthistorikern geprägt worden war, die die Statuen und Kunstwerke des klassischen Altertums von den stilistisch sehr andersartigen, aber noch nicht mittelalterlichen Werken der darauffolgenden Epoche abzugrenzen versuchten. Brown betont, dass er den Begriff der Spätantike bei seinem großen Vorbild, dem französischen Historiker Henri-Irenée Marrou, gefunden hat, und führt ihn in die englischsprachige Welt von Oxford ein.

Mit seinen zum Teil gezielt populärwissenschaftlich geschriebenen Büchern und gemeinsam mit Wegbegleitern und Kolleginnen wie Averil Cameron erschließt Brown ein ganzes Forschungsfeld. Endete der Zuständigkeitsbereich von Historikern des klassischen Altertums zuvor meist mit dem Zeitpunkt, «als Tacitus seinen Stift fallen ließ», also um 120 n. Chr., so gibt es heute zahlreiche Institute, die sich auf die Jahrhunderte zwischen 200 und 700 spezialisiert haben, auf die Umwälzungen zwischen Diokletian und Justinian, zwischen der Ausbreitung des Christentums und dem Aufstieg des Islam, zwischen Konstantin dem Großen und Mohammed. Oder anders ausgedrückt: die Zeit, in der die Menschen irgendwann die Toga in die Ecke geschmissen und sich Hosen angezogen haben.

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