Book Lovers – Die Liebe steckt zwischen den ZeilenEmily Henry übers. v. Katharina Naumann
Droemer Knaur Dez. 202312,99 (TB) € 432 S.

Wer empfindet sie noch, die brennende Leidenschaft für das Buch? Bei wem stapeln sich noch die Bücher auf dem Nachttisch? Wer liest noch bis tief in die Nacht, kann wider aller Vernunft nicht aufhören? Im Jahr 1961 assoziierte man die Antwort auf solche Fragen mit einem klar konturierten Charakterbild: wer viele Bücher besitzt, musste intelligent und gebildet sein, wohlhabend und – ein Mann. Seit der ersten Umfrage zum Lesen in der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft, die nicht zufällig vom Büchergiganten Bertelsmann in Auftrag gegeben wurde, ist viel passiert. Bücher besitzen und, unterstellen wir einmal, lesen laut der aktuellen Zahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zwar nach wie vor eher Menschen mit höherem Bildungsstand und Einkommen. Aber diese definieren sich in der Mehrheit als weiblich.

Angesichts einer sinkenden Buchkäuferschaft wendet sich der Buchhandel verstärkt jenen zu, die noch lesen. Und nochmal mehr denen, die schnell lesen und viel. Unter dem Hashtag #BookTok erhalten Book-Influencer:innen auf der digitalen Plattform TikTok Millionen Likes für ihre Leseempfehlungen. Bereits 2022 beschrieb die New York Times BookTok als «commanding force» des Buchmarkts. Bestseller entstehen hier von unten, durch die Macht der Mehrheit des Lesepublikums. Besonders «New Adult»-, Romance-, und Fantasy-Romane werden geliebt und social-media-affin weiterempfohlen. Lesestoffe also, die seit Jahrhunderten in großen Mengen durch die Hände wandern, denen aber lange ein ästhetischer Eigenwert abgesprochen wurde. Es sind Genres, denen das Stigma der «Trivialliteratur» anhaftet, obwohl sie im Buchhandel diejenigen Werke mitfinanzieren, die im kulturellen Common Sense als literarisch ambitioniert, hochwertig, aber wenig massentauglich gelten.

In den Literaturwissenschaften konnte man den Begriff der Trivialliteratur lange Zeit unhinterfragt verwenden, wenngleich (oder weil) ihm eine Abwertung innewohnt. Trivialisierung heißt, einen hochwertigen Gegenstand durch Verflachung des Inhalts und Plattheit des Stils ins Alltägliche zu überführen. Aus so etwas, so die Überzeugung, könne keine Literatur hervorgehen, zumindest keine, mit der man sich ernsthaft beschäftigen musste. Es ist kein Zufall, dass das Lesepublikum von «Trivialliteratur» vor allem weiblich war. Bereits im 18. Jahrhundert warnten staatliche und kirchliche Institutionen vor einer weiblichen «Lesesucht», da die hedonistische Lektüre von Romanen Sitte und Ordnung bedrohe. Das enthemmte, eigenständige Lesen von Frauen wurde als «sozialschädlich» wahrgenommen, da es das starre Ordnungsgefüge der Gesellschaft infragestellte. Denn das tat es ohne Frage, es war ein Akt der Emanzipation der Leserin gegen die Autorität des Buches.

Der Schweizer Soziologe und Schriftsteller Urs Jaeggi stellte auf dem Berliner Germanistentag (man muss hier wahrlich nicht gendern) im Jahr 1968 mit klassenkämpferischer Verve eine provokante Definition von Literatur auf, die im akademischen Publikum vermutlich eher Unmut hervorrief: Literatur ist das, «was jene Gruppe, die ‹Literatur› liest, als Literatur verstanden haben will». Was zunächst trivial klingt, macht darauf aufmerksam, dass in den Werken, die wir lesen, und der Art und Weise, wie wir diese lesen, eine soziale Herrschaftsbeziehung eingeschrieben ist. Es gibt wenige, die über den Geschmack der vielen urteilen. Sie legen die Maßstäbe der Beurteilung fest und entscheiden damit darüber, was literarisch ist und was nicht. Diese Herrschaft wirkt umso perfider, weil unsere subjektiven Vorlieben und Präferenzen einer manchmal vernichtenden Kritik unterzogen werden. Also das, was uns im Innersten berührt, unsere Identität bestimmt. Kann das so falsch sein?

BookTok, der Icebreaker

BookTok ist das neonpink leuchtende Resultat einer schleichenden Verschiebung im ästhetischen Herrschaftsgefüge, in dem Leser:innen zuvor von oben ihre Plätze zugewiesen wurden. Die 23-jährige Autorin und BookTokerin Valentina Vapaux meinte jüngst: «BookTok ist ein weiblicher Space». Auf BookTok macht das junge, weibliche und queere Lesepublikum die Bücher groß, nicht ein alternder, männlicher «Kultur-Jürgen» (so Vapaux in ihrem Buch «Generation Z»). Es ist eine Selbstermächtigung von Leser:innen, die in ihren ästhetischen Bedürfnissen lange nicht ernst genommen wurden. Wie Valpaux betonen nahezu alle BookToker:innen, dass sie über Bücher sprechen, die «tatsächlich», die «wirklich» gelesen werden. Und dass sie dies auf ihre Art und Weise tun, indem sie das emotionale und körperlich resonante Leseerlebnis in den Vordergrund stellen.

Buchcover von Icebreaker, einem Romance-Roman von Hannah Grace. Ein Icehockey-Spieler und eine junge Eiskunstläuferin schauen sich flirty in die Augen, im Hintergrund eine in sanften Pastellfarben gezeichnete College-Eishalle.
Eine Axt aus Plüsch für das gefrorene Tränenmeer in uns: «Icebreaker» von Hannah Grace.

BookTok-Bestseller von Colleen Hoover, Hannah Grace oder Sarah Sprinz rufen in ihrer Buchgestalt aus sanften Pastelltönen, Farbschnitt und glitzernden Goldsprenkeln eine spezifische ästhetische Erlebniswelt hervor. Man will sie anfassen, in ihnen blättern, in ihnen aufgehen, verschwinden. Bereits die materielle Form forciert eine emotionale Intensität des Lesevorgangs, die auf BookTok auch körperlich, begriffslos dargestellt wird. Man heult hemmungslos vor der Kamera. Oder aber man stellt das obsessive Lesen aus, liegt im Pyjama im Bett zwischen zahlreichen Kissen und kann nicht aufhören zu lesen. Es geht einfach nicht anders, man ist «Book-Addict». Zur Steigerung der Gefühlswelten werden Reading-Playlists zusammengestellt, welche die emotionale Leseatmosphäre komplettieren: Bon Iver, Taylor Swift, Harry Styles, Billie Eilish. BookTok surft auf kollektiven Mustern, die unseren unbewusst geteilten Ideen von Cozyness eine bildhafte Gestalt geben. Gerade in Zeiten, in denen es draußen (und in einem drin) grau und stürmisch ist.

Was ist aber mit dem gelesenen Text? So euphorisch der Literaturbetrieb die digital zelebrierte Lust am Lesen begrüßt, so ambivalent bleibt man gegenüber den Büchern, die dann tatsächlich gelesen werden. «New Adult» – wortwörtlich Literatur, die in einem Schwellenzustand verharrt, jedenfalls noch nicht den Status der Reife erreicht hat. Manche warnen gar vor ihrer reaktionären Ideologie. Die paternalistische Sorge, das autonome Lesen junger Frauen könne schädlich sein, ist kein historisch neues Phänomen. Es scheint fast so, als ob die ästhetisch-ökonomischen Eliten das weibliche und queere BookTok-Lesepublikum zwar als Käuferschaft brauchen, nicht aber als Leserschaft ernst nehmen wollen. Die Romane, die oft der «Romance-Fiction» zugeordnet werden, behandeln den Struggle gegenwärtigen Lebens, das Festhalten und Scheitern an den eigenen Ansprüchen, Selbstzweifel, aber auch Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit. Im Job, im Sozialleben und natürlich – in der Liebe. Ihre Leser:innen fühlen sich mit diesen Romanen aufs Tiefste verbunden, sie lieben es, sie zu lesen, und sich dabei selbst zu beobachten. Ihnen Narzissmus zu unterstellen, greift zu kurz. Ja, es ist ein Lesen, das seinen Ausgangspunkt beim Ich nimmt und auf die Anerkennung anderer angewiesen ist. Gleichzeitig aber formt es Singularität über die Intensivierung der eigenen ästhetischen Erfahrung. Es ist eine Emanzipation der Gefühle, deren sozialer Gehalt es ist, sich vordergründig von Gesellschaft loszusagen.