Palo Alto: A History of California, Capitalism, and the WorldMalcolm Harris
Little, Brown and Company Feb. 202337.00 $ 720 S.

Der Campus der von Leland und Jane Lathrop Stanford gegründeten Universität erstreckt sich über 33 Quadratkilometer. Sein architektonisches Herzstück ist die Memorial Church, ein neoromanischer Bau aus dem frühen 20. Jahrhundert, dessen Glasfenster und Mosaike an byzantinische Kirchen erinnern sollen. Jane Stanford ließ die Kirche nach Lelands Tod im Jahr 1893 errichten. Heute überragt sie ein beinah fensterloser Turm, der Archiv und Bibliothek der Hoover Institution beherbergt. Vom Einfluss, den diese konservative Denkfabrik auf die Geschicke Kaliforniens und der Welt im 20. und 21. Jahrhundert genommen hat, handeln weite Teile von Malcom Harris’ Buch Palo Alto: A History of California, Capitalism, and the World.

Die Geschichte, die Harris erzählt, beginnt, bevor Palo Alto, heute ein Städtchen von nicht einmal 70.000 Einwohner:innen am Rande des Universitätscampus, so heißt. El Palo Alto, spanisch für «der hohe Stamm», ist ein Küstenmammutbaum, der seinen Namen vom ersten europäischen Expeditionstrupp erhalten hat, der das seit Jahrtausenden von den Ohlone bewohnte Land um die Bucht von San Francisco 1769 erreichte. Der Baum steht noch immer an der Grenze des Städtchens Palo Alto zum Städtchen Menlo Park. Auch die Ohlone leben noch in der Gegend, obwohl erst die Spanier und dann die Anglo-Amerikaner sich alle Mühe gaben, sie auszurotten. Die Vereinigten Staaten erkennen sie bis heute nicht als souveränen Stamm an. Nachdem der Anthropologe Alfred Kroeber die Ohlone 1925 für ausgestorben erklärt hatte, entzog die Bundesregierung ihnen die kurz zuvor verliehenen Selbstverwaltungsrechte. Das Bureau of Indian Affairs gesteht diese Rechte heute 574 indigenen Stämmen auf dem Territorium der Vereinigten Staaten zu. Die Ohlone sind nicht darunter.

1846 kamen die Truppen John Frémonts, 1849 die Goldgräber und 1855 Leland Stanford. In New York geboren und in Wisconsin als Anwalt gescheitert, hoffte Stanford in Kalifornien auf die Unterstützung seiner Brüder, die in Sacramento ein kleines Vermögen damit gemacht hatten, Schaufeln an Goldgräber zu verkaufen. Mit mehr Glück als Verstand wurde er erst Kandidat der republikanischen Partei, dann Gouverneur Kaliforniens und schließlich Präsident der Central Pacific Railroad. Auf geraubtem Land mit der Arbeitskraft irischer und chinesischer Immigranten gebaut, brachte die Eisenbahn Rohstoffe in den Osten und Geld in die Taschen einer kleinen Elite im Westen. Hierin liegt die erste von zwei Urszenen für die Geschichte des Silicon Valley, die Malcom Harris erzählt: «Die anglo-amerikanische Geschichte der Westküste ist so kurz, dass es kein kalifornisches Vermögen gibt, das wir nicht auf diese ursprünglichen Enteignungen von Land und Arbeit zurückverfolgen können.»

Die Eisenbahn machte San Francisco innerhalb von zwei Jahrzehnten zur größten Stadt im amerikanischen Westen. Als unzufriedene Arbeiter vor ihrer Villa protestierten, kauften Jane und Leland Stanford eine Farm südöstlich der Stadt und zogen mit Sohn Leland Jr. aufs Land. Sie benannten sie nach dem großen Baum an den Gleisen: Palo Alto. Bis heute hält sich das Städtchen, das zu den wohlhabendsten Orten der Welt gehört, durch notorisch schlechte Anbindung an den Rest der Bay Area den Pöbel vom Leib (die Grundstückspreise in der Gegend tun ihr Übriges).

In Palo Alto legte Leland sich ein Hobby reicher Leute zu: Pferde. Er rückte den Tieren mit wissenschaftlicher Neugier und der Rationalität des Eisenbahnunternehmers zu Leibe. 1878 holte er Eadweard Muybridge auf die Farm, der hier seine berühmten Aufnahmen des galoppierenden Pferdes machte. Stanford setzte darauf, die top performer unter den jungen Hengsten möglichst früh zu erkennen und Ressourcen auf die Tiere mit dem größten Potenzial zu konzentrieren. Dieses «Palo-Alto-System», das aus Daten Profite machte, krempelte die Pferdezucht in wenigen Jahren um und stellt die zweite Urszene in Harris’ Geschichte da. Move fast and break things, die disruptive Ideologie der Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley, ist bei Harris keine Erfindung der Gegenkultur der 1970er Jahre, als die Fred Turner sie in From Counterculture to Cyberculture (2006) beschrieben hat, sondern immer schon in der kalifornischen Akkumulation von Kapital enthalten.

Hooverville

Als Leland Stanford Jr. 1884 mit nur 15 Jahren an Typhus starb, bekam das Palo-Alto-System den Ort, der es bis heute befeuert. «Die Kinder Kaliforniens werden unsere Kinder sein», versprachen sich die trauernden Eltern und gründeten die Universität, der sie den Namen ihres Sohnes gaben. Fortan wurden nicht Pferde, sondern junge Leute auf ihr Potential getestet. Der erste Rektor, David Starr Jordan, führte die Universität als eugenisches Projekt, das von Beginn an auch Frauen zum Studium zuließ. Der Psychologe Lewis Terman, der den Intelligenzquotienten populär machte, wählte in den 1920ern nicht nur seine Studentinnen, sondern auch Affären und seine Schwiegertochter nach dem IQ aus, den er auf den Bewerbungsformularen für sein Labor fand.

Einer der ersten Absolventen der Universität war Herbert Hoover. Er ist die überraschende Hauptfigur in Harris’ Erzählung. Hoover war ein mittelmäßiger Student, aber ein begabter Organisator. Er verließ Stanford 1895 mit einem Abschluss in Geologie und ging als Bergbauingenieur im Auftrag britischer Firmen nach Australien und China. Als US-Handelsminister war er später maßgeblich für die Segregation in den Städten verantwortlich. Als Präsident führte er die Vereinigten Staaten in die Weltwirtschaftskrise und gab die Schuld daran US-amerikanischen Staatsbürger:innen mit mexikanischen Wurzeln. Hunderttausende von ihnen ließ er deportieren.

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