A Short History of Trans MisogynyJules Gill-Peterson
Verso Jan. 202415,50 £ 192 S.
Queer Studies. SchlüsseltexteMike Laufenberg und Ben Trott (Hg.)
Suhrkamp Nov. 202328 € 576 S.

Radikales trans Denken – also ein Denken, das die geschlechtliche Dimension von Selbstbestimmung ernst nimmt – ist in eine widersprüchliche Lage geraten. Während seit den frühen 2010er Jahren trans Öffentlichkeiten in einen breiteren Mainstream überschwappen, wird immer unübersichtlicher, was wo wie als selbstverständlich gilt. Die Phase, in der Teile der Kulturindustrie darauf brannten, Prestige-Serien oder literarische Romane mit den vermeintlich «ersten», vermeintlich «authentischen» trans Narrativen anzufüttern, neigt sich womöglich schon ihrem Ende zu. Gleichzeitig etabliert sich trans panic, die Mobilisierung gegen eine vermeintliche Unterwanderung durch «Gender-Ideologie», als gemeinsamer Nenner einer globalen Rechten. Von Elon Musks Tiraden gegen seine eigene Tochter bis zu Putins Würdigung der Anti-Trans-Aktivistin J.K. Rowling, von Bolsonaro bis zur AfD erklären Rechte trans Frauen zu apokalyptischen Reiterinnen eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Und zum legitimen Ziel von Gewalt. Auf der einen Seite ändern sich also die Bedingungen, unter denen Menschen an einen neuen Namen, Hormone oder andere Formen von Intimität gelangen, ständig und bei weitem nicht immer zum Besseren. Auf der anderen Seite wütet historische Kontinuität: Seit mehr als 100 Jahren scheint zum Beispiel die reaktionäre Fantasie von der Person, die sich als Frau verkleidet, um Frauen zu bedrohen, Männer zu verführen und Kinder zu indoktrinieren, nichts an Gewaltpotenzial einzubüßen, im Gegenteil.

Bei vielen, die sich mit diesen Umständen auseinandersetzen, wächst das Misstrauen, dass die liberalen Ansätze, die Queer Theory oder LGBTQ-Aktivismus in den letzten Jahrzehnten bestimmt haben, dieses Auseinanderklaffen von kultureller Sichtbarkeit und prekären Lebensrealitäten sinnvoll beschreiben können.

Der im vergangenen September bei Suhrkamp erschienene Sammelband Queer Studies reflektiert das lange Siechtum des queeren Liberalismus, «nach» AIDS, nach der Finanzkrise 2008 und macht deutlich, dass es am Sex-Appeal anti-kolonialer und anti-kapitalistischer Kritik kein Vorbeikommen gibt. In ihrer Einleitung machen die Herausgeber Ben Trott und Mike Laufenberg einen «Bedeutungszugewinn materialistischer und marxistischer Ansätze» aus, die queeren Theorien natürlich ohnehin nie fremd waren. Die heiße Kompromisslosigkeit von Mario Mielis 1977 erschienenem Auf in den schwulen Kommunismus! zum Beispiel feiert von Memes bis hin zu Manifesten ein Comeback. Sehr präzise zeichnen Trott und Laufenberg nach, wie sich der spritzige Materialismus homosexueller Befreiungsbewegungen der 1970er und der neue queere Marxismus der 2010er Jahre in einen Zusammenhang setzen lassen, der «weder linear noch ungebrochen» ist. Gerade im deutschsprachigen Raum, so das elegant formulierte wie subtil vernichtende Urteil von Laufenberg und Trott, sind diese materialistischen Tendenzen aber lange «nur marginal beobachtet worden».

Weit über leere Normalitätsversprechen wie die Ehe für Alle hinaus hat der Liberalismus Vorstellungen davon, was queere Befreiung heißen könnte, so zusammengestaucht, dass es angesichts seiner permanenten Gegenwart theoretisch herausfordernd bleibt, ihm wirklich etwas entgegenzusetzen. Das, was sich mit einem einflussreichen, 2021 erschienenen, gleichnamigen Band Transgender Marxism nennen ließe, setzt dabei entscheidende Impulse. Lange war Transition eine Lieblingsmetapher für Queer Theory, um zu bebildern, wie sich Geschlecht austricksen lässt – das, was an trans Leben unhintergehbar wirklich ist, wurde dabei oft verdrängt. Radikales Denken der letzten Jahre wagt einen Vorstoß in eine andere Richtung. So unterschiedlich die Ansätze, die darunter zusammengefasst werden könnten, selbstverständlich sind, verbindet sie vielleicht, dass es ihnen meist weder nur darum geht, Subkategorien von Subkategorien stark zu machen – noch darum, trans Menschen zu schillernden Märtyrer*innen im Dienste gesellschaftlicher Utopien zu verklären. Was sie vielmehr versuchen, ist eine umfassende Kritik der Art und Weise, wie vergeschlechtlichte Arbeitsteilung und brutale Abstraktionen des Körpers unter die Haut gehen, in die Blutbahn. Und wie sich solchen Widersprüchen Lebenswirklichkeit abgewinnen lässt, oder, um es mit einer Ballroom-Kategorie der 90er Jahre zu sagen, Realness.

Zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre

In ihrem neuen Buch A Short History of Trans Misogyny greift die Historikerin Jules Gill-Peterson, die an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore lehrt, einige dieser Impulse auf. In vielen Darstellungen beginnt die Geschichte der Transgeschlechtlichkeit der Zwischenkriegszeit in Berlin, genauer in den Räumen von Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft. In einer Villa, ungefähr da, wo heute die Neubauten des Regierungsviertels auf den Tiergarten zulaufen, wurden dort sogenannte «Geschlechtsumwandlungen» durchgeführt, zum vielleicht ersten Mal in einem medizinisch-institutionellen Rahmen. Gill-Peterson polt diese Geschichte kurzerhand um. Ihr Ausgangspunkt ist nicht die typische Mittelschichtspatientin im Behandlungszimmer. Sie setzt an im kolonialen Indien, auf einem US-Militärstützpunkt auf den Philippinen, bei lateinamerikanischen Travestis und natürlich immer wieder: auf den Straßen von New York, vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die Post-Stonewall-Ära der 1970er Jahre. Die bürgerliche Sentimentalität, die üblicherweise an den Anfang historischer Homosexualität gestellt wird, konfrontiert Gill-Peterson mit der krassen Armut, mit Trotz und Exaltiertheit ihrer Protagonist*innen.

Schon Gill-Petersons 2018 erschienene erste Monografie Histories of the Transgender Child hatte im Feld der Queer und Trans Studies Wellen geschlagen. Behutsam arbeitet sie dort aus Archivmaterialien der Zwischenkriegszeit und medizinischer Literatur einen einfachen Fakt heraus: Die bloße Existenz von Kindern, die wir heute trans nennen würden, ist nichts Neues, kein Effekt woker Dekadenz oder gewachsener Toleranz. Tatsächlich mussten trans Kinder auch schon vor der Etablierung der medizinischen Transition als Musterbeispiel herhalten, um Rätsel der Stoffwechselkunde zu illustrieren. Für Gill-Peterson und viele radikale trans Denker*innen folgt aus solchen Studien eine These, die sich abgekürzt vielleicht so paraphrasieren ließe: Die Tatsache, dass Geschlecht plastisch ist, verändert werden kann, ist weder ein Regenbogengesetz menschlicher Natur noch an sich schon emanzipatorische Errungenschaft oder Strategie. Transgeschlechtlichkeit im heutigen Sinn ist ein Spannungsfeld zwischen Voraussetzungen und Zwängen kapitalistischer Moderne und der Art, wie Menschen mit ihnen umgehen.

Wie es Gill-Peterson gelingt, die moralische Überdeterminierung von trans Leben aufzulockern, ist überhaupt einer der inspirierendsten Aspekte ihrer Arbeit, die auch Dokumentarfilme und Podcasts umfasst. Im Kontext von rechtem Autoritarismus, überlegt sie in A Short History, sei es vielleicht nicht die dringendste Aufgabe, die eigene Tugendhaftigkeit zu verteidigen. Die Vorsilbe trans zeigt deshalb für Gill-Peterson nicht an, wie natürlich oder unnatürlich ein Pronomen, wie politisch oder unpolitisch Hormone sind. Das Wort scheint ihr als emphatische Identitätskategorie so wenig reizvoll zu sein wie die Suche nach einer besseren Sprachregelung. Im Buch bleibt trans ein virtuos schwacher Begriff, der gleichzeitig unumgänglich ist, um zu beschreiben, wie sich Menschen historisch inmitten von vergeschlechtlichten Widersprüchen ein Leben aufbauen.

Das Buch maßt sich in diesem Sinne auch gar nicht an, eine Geschichte der Transweiblichkeit selbst erzählen – die zu unzusammenhängend und lokal wäre, um eine solche Makroperspektive zu rechtfertigen. Im Mittelpunkt stehen im Gegenteil die globalen Infrastrukturen ihrer Repression: «Transmisogynie», so schreibt Gill-Peterson gleich zu Beginn, «bezieht sich auf die gezielte Abwertung sowohl von trans Frauen als auch von Menschen, die als transfeminin wahrgenommen werden, unabhängig davon, wie sie sich selbst verstehen». Das ist nicht nur ein theoretischer Move, der klarmachen soll, dass die Grenzen zwischen zum Beispiel schwuler Männlichkeit und Transfeminisierung historisch durchlässiger waren, als die säuberliche Trennung von Gender und Sexualität in Dating-App-Profilen es vermuten lässt.

Sie sind nicht berechtigt, die Seite von dieser IP-Adresse aus zu besuchen.
Vous n’êtes pas autorisé.e à consulter le site depuis cette adresse IP.