Light to the Nations / Farewell, 2022–2024Yael Bartana. Deutscher Pavillon der Biennale Venedig, April-November 2024.

Ausgerechnet die lange Zeit wenig politische Kunst- und Kulturwelt ist seit einigen Jahren zum Austragungsort grundlegender Auseinandersetzungen geworden. Im Zentrum steht häufig Israel. Hier kollidieren politische Antinomien der Gegenwart: ein israelbezogener Anti-Antisemitismus und ein israelbezogener Antikolonialismus.

Auf der einen Seite erscheint Israel, wenn nicht gar als das Heilige Land, so zumindest als Schutzort der Juden, was gerade vor dem Hintergrund der Shoa unsere unbedingte Solidarität verlangt; andere erkennen in Israel das Produkt eines schon lange vor dem Holocaust begonnenen und bis heute fortlaufenden Projekts der Landnahme in der Tradition des Kolonialismus. Hier Antisemitismus und Holocaust, da Kolonialismus und Sklaverei, zwei tiefe westliche Schuldgeschichten kollidieren beim Blick auf Israel.

Seit eine Definition durchgesetzt wurde, die den Unterschied zwischen Antisemitismus und Kritik an Israel praktisch einebnet (IHRA-Antisemitismusdefinition), kommt es im Feld der Kultur regelmäßig zu Konflikten: «Fall Mbembe» 2020, «zweiter Historikerstreit» 2021, documenta fifteen 2022. Seit dem 7. Oktober 2023 haben sich diese Spannungen noch einmal intensiviert und vervielfältigt. Deutschland avancierte dabei zu einem Hauptaustragungsort kultureller Kämpfe; viele Ausstellungsabsagen, der Eklat bei der Berlinale-Gala 2023, die Aktion «Strike Germany» belegen dies hinlänglich.

Mitten in diesem aufgeheizten Klima wurde im Frühling die Kunstbiennale von Venedig eröffnet. Und ausgerechnet im Deutschen Pavillon wurde eine israelische Künstlerin ausgestellt, Yael Bartana, von der man weiß, dass sie sich nicht scheut, tiefste kollektive Schmerzpunkte und Tabubereiche zu berühren. Beste Voraussetzungen für einen «perfekten Sturm», könnte man meinen, ein weiterer «Kunstskandal» schien vorprogrammiert. Die Demonstranten, die sich zu Ausstellungsbeginn vor dem Deutschen Pavillon versammelten, schienen das zu bestätigen.

Die besten Texte in Ihrem Postfach
Unser kostenloser Newsletter

Newsletter-Anmeldung

Doch die große Empörung blieb aus. Dass die Stimmung in den Monaten danach nicht eskalierte, ist die vielleicht erstaunlichste Leistung Yael Bartanas. Denn sie flieht keineswegs in Unbestimmtheit oder Belanglosigkeit. Ihrer Arbeit gelingt es, die kulturellen Zensurmechanismen selbst dort zu überlisten, wo sie äußerst fein kalibriert sind und schon bei einem falschen Wort und einem falschen Like Alarm schlagen.

Meisterstück der Doppelbödigkeit

Bartanas Biennale-Werk ist ein Meisterstück der Doppelbödigkeit. Ein Boden verdeckt dabei einen anderen. Man könnte von einem «exoterischen» und einem «esoterischen» Layer sprechen. Die Doppelbödigkeit zeigt sich in kleinen «Fehlern in der Matrix», Unstimmigkeiten, die angesichts der Durchdachtheit verwundern. Ihr Beitrag ist in diesem Sinne esoterisch, wie die Kabbala, die mystische Strömung des Judentums, die sie zitiert.

Die exoterische Ebene liegt naturgemäß offen. Sie wird zudem so deutlich und umfassend im Kuratorentext geschildert, dass man schon wieder stutzig werden könnte. Warum ein so komplexes Kunstwerk, wenn sich seine Bedeutung in wenigen Absätzen sprachlich zusammenfassen lässt? Warum überhaupt eine klare Deutung mitgeben und damit die Vieldeutigkeit des Kunstwerks unnötig einengen?

Farewell, so der Titel der Videoarbeit, die im Zentrum der mehrteiligen Präsentation steht, beginnt mit dem Tanz junger Menschen, scheinbar in der Nacht, auch wenn das Licht dafür eigenartig gleißend ist und die Schatten der Bäume in ständiger Bewegung sind. Hierbei handelt es sich, erfährt man aus dem kuratorischen Text, um eine Zeremonie, die der Abfahrt des Raumschiffs Light To The Nations zu fernen Galaxien vorausgehe. Kurz vor einer Reise diene die Zeremonie dazu, diese Loslösung von der «ökologisch und politisch zerstörten Erde» zu feiern.

Harter Schnitt. Wie die übergangslose Variante der berühmten Anfangsszene aus Kubricks 2001. Odyssee im Weltraum sehen wir die Seitenfront eines Raumschiffs. Durch die Beschreibung erfahren wir, dass es menschliches Leben retten und zugleich der Erde helfen soll, sich ohne Menschen zu regenerieren. Bartana spricht von einem «Generationenschiff». Das ist die ökologische, allgemein menschliche Deutung.

Junge Frauen in weißen Kleidern formen einen Kreis um ein Raumschiff
Foto: Yael Bartana

Doch sie kann so natürlich nicht stimmen. Dieses Schiff ist groß, aber kein Planet B. Die ganze Menschheit hat hier nicht Platz. Damit stellt sich die Frage nach der Auswahl: Wer ist erwählt, das rettende Schiff zu besteigen, und wer nicht? Der Name des Generationenschiffs gibt Auskunft: Es heißt nicht «Arche Noah», verweist nicht auf ein anderes Schiff und auf den Menschen und Landtiere gleichermaßen umfassenden Noah-Bund. Es heißt Light To The Nations und nimmt damit Bezug auf Jesaja und auf den Mosaischen Bund mit der Unterscheidung zwischen Israel und den Völkern.

Als ob Bartana die spezifisch jüdische und nicht nur biblische Dimension noch unterstreichen wollte, hat das Schiff die Form der Sephirot aus der Kabbala: zehn mystische Emanationen oder Sphären in Form eines Diagramms, die für die Struktur der göttlichen Schöpfung stehen.

Erste Starter einer Weltraumregatta

Die Light To The Nations ist also nicht für die ganze Menschheit gedacht, sondern für Juden. Und auch nicht für alle, auch dafür würde der Platz natürlich nicht ausreichen. Nur ein kleiner Teil der Juden fände Platz und könnte sich aufmachen in das, was Bartana gegenüber der Zeit als «die ultimative Diaspora» bezeichnete.

Geht es also darum, dass nur einige wenige Juden exklusiv eine zerstörte Welt verlassen sollen? Der kuratorische Text beantwortet auch diese heikle Frage: Die Light To The Nations, heißt es da, soll der übrigen Menschheit zum «Leuchtfeuer der Hoffnung und Innovation» werden, zur «Blaupause für den potenziellen Bau weiterer Raumschiffe», eine Einladung an die Menschheit, «sich kollektiv auf Reisen zu begeben».