Kunsthochschulen sind keine idealen Orte. Sie sind von neoliberalen Logiken durchzogen und waren nie frei von normativen Ausschlüssen. Gleichzeitig werden in ihnen Freiräume entwickelt; es wird experimentiert, imaginiert, diskutiert, auch das Scheitern ist erlaubt und notwendig. Doch Freiheit ist nicht schon deshalb gegeben, weil man sie propagiert. Das im Grundgesetz verbriefte Recht muss in der Anwendung immer wieder neu hergestellt, reflektiert und verteidigt werden. Freiheit in demokratischen Strukturen beinhaltet auch das Aushalten von Ambivalenzen, von Unterschieden und Kontingenz.
Im Zuge des gegenwärtigen Aufstiegs autoritärer Kräfte werden Institutionen, Organisationen und Netzwerke, die Freiräume offenhalten, immer enger von reaktionären Diskurswächtern und Skandalisierungsprofis umstellt. Sie rufen im Namen des Anti-Antisemitismus nach strenger Reglementierung ebenjener Orte, die Freiheit als Grundbedingung der Auseinandersetzung besonders brauchen. Dieser Text buchstabiert das aus, was Peter Ullrich im Dezember 2024 als These formuliert hat, nämlich wie der Kampf gegen den Antisemitismus ein ideologisches Feld vorbereitet, auf dem «ein autoritärer Umbau der deutschen Gesellschaft vorangetrieben und gleichzeitig als gutes Anliegen camoufliert wird».
Als politisches Instrument wird in Deutschland in jüngerer Zeit gerne auf Resolutionen zurückgegriffen, die jüdisches Leben in Deutschland schützen und Antisemitismus bekämpfen sollen: ein an sich absolut unterstützenswertes Anliegen. Wesentlich bleibt dabei, sich dabei nicht mit einem rechten Autoritarismus gemein zu machen, der auch in anderen Feldern voranschreitet. Resolutionen haben keine Gesetzeskraft, sind aber diskursmächtig und handlungsleitend. Im Wissen, dass viele der in ihnen formulierten Forderungen nicht verfassungskonform sind, dienen sie als perfektes Werkzeug für eine autoritäre Verschiebung.
Wer definiert, was Antisemitismus ist?
Stefan Hirschauer hat es jüngst im Merkur unter der Frage «Wer definiert, was Antisemitismus ist?» auf den Punkt gebracht: Die Politik externalisiert innere, für sie nicht mehr zu lösende Widersprüche auf andere gesellschaftliche Teilsysteme: einerseits auf die Bereiche Kunst und Wissenschaft, andererseits, wie wir hinzufügen würden, auf arabisch gelesene Mitbürger*innen und Migrant*innen. «Mit der Resolution mischt sich das Parlament in moralische Grenzziehungen ein, die sonst eben von Künsten, Wissenschaft und Medien betrieben werden. Damit unterbindet die Resolution nicht einfach Kritik an Israel. Sie tut etwas Subtileres: Sie versucht, die Loyalitäten und diplomatischen Zwänge der politischen Kommunikation auf die Zivilgesellschaft auszuweiten. Sie verändert die informellen Regeln des gesellschaftlichen Diskurses.»
Die Differenz zwischen Regierungspolitik und einer insbesondere durch die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Kultur zum Widerspruch fähigen Zivilgesellschaft ist eine notwendige Voraussetzung von Demokratie – hier wird sie nun eingezogen. Im rechtlichen Graubereich gedeihen Verunsicherung, repressive Stimmung und eine – von Roland Philippi als Staatssekretär unter Bundesbildungs- und Forschungsministerin Stark-Watzinger – explizit willkommen geheißenen Selbstzensur.
Kunsthochschulen werden dabei zur perfekten Projektionsfläche und zum diskursiven Umschlagsort zuvor versprengter autoritärer Narrative. Neu sind solche Diskursverschiebungen nicht. Seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und der anschließenden Zerstörung Gazas durch das israelische Militär haben sie sich aber massiv beschleunigt. Der Antisemitismusvorwurf ist zu einem Generalverdacht gegenüber pluralistischen und progressiven Freiräumen geworden, für die Kunsthochschulen exemplarisch stehen – zum Nutzen der autoritären Wende.
Gemeinsam mit extremen Rechten
Angriffe auf und Instrumentalisierungen von Kunst spielten beim Aufstieg der Nationalsozialisten eine zentrale Rolle; deshalb genießt die Kunstfreiheit in der deutschen Verfassung einen so hohen Stellenwert. Die garantierte Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre ist ein staatsrechtliches Instrument des deutschen «Nie wieder». Doch dieses «Nie wieder» wird heute von rechts besetzt und zur Diskreditierung von Kunst, Kultur und Wissenschaft missbraucht, während die so notwendige politische und historische Bildung zu den Ursachen und Herrschaftspraktiken des Nationalsozialismus darnieder liegt.1
Spätestens seit Pegida gehören Störaktionen, Diffamierungen, Angriffe und Strafanzeigen gegen Kunst und Kultur zum taktischen Repertoire reaktionärer bis protofaschistischer Rechter. Ein prominentes, in schlechter Hinsicht wegweisendes Beispiel war das Antikriegs-Denkmal Monument des syrisch-deutschen Künstlers Manaf Halbouni, dessen Eröffnung 2017 in Dresden niedergebrüllt wurde. Das Kunstwerk wurde mit rechten Transparenten behängt, der Künstler mit Mord bedroht. Die Liste solcherart gestörter Veranstaltungen ist lang. In ihrem 2016 herausgegebenen Band Kulturkampf von Rechts – AfD, Pegida und die Neue Rechte (Unrast Verlag) haben Helmut Kellershohn und Wolfgang Kastrup über 100 Fälle rechter Übergriffe auf den Kunst- und Kulturbereich dokumentiert. Diese «reichen von zahlreichen Morddrohungen und Beleidigungen bis zu schwerer Sachbeschädigung, Sprengstoff- und Brandanschlägen und Körperverletzung.»