Wer in letzter Zeit auf ein Bild von Volker Beck gestoßen ist, sah wahrscheinlich einen empört dreinblickenden Mann. Das war nicht immer so. Wähler aus seinem Wahlkreis in Köln erinnern sich vielleicht an einen lächelnden, jungen Parlamentarier mit strahlenden Augen, der nach seinem Einzug in den Bundestag 1994 als charismatischer, ehrgeiziger Grünenabgeordneter eine beeindruckende Karriere hinlegte. Beck hatte schon immer eine Vorliebe für den Zorn des Gerechten, aber in jungen Jahren war sein emotionales Spektrum noch breiter – er konnte beruhigen, Anteil nehmen, mitfühlen, trauern. Mit 64 hat er noch immer die Energie und Entschlossenheit eines Mannes in den besten Jahren, und als ich ihn im vergangenen Dezember auf der von ihm organisierten Konferenz «Antisemitismusbekämpfung mit dem Strafrecht – Möglichkeiten und Grenzen» in Berlin um ein Interview bat – auf meine E-Mails hatte er nicht reagiert –, strahlte sein Lächeln jene jugendliche Vitalität aus, die ihn einst zur prominentesten Stimme für Schwulen- und Lesbenrechte in Deutschland gemacht hatte, bevor ihn ein Drogenskandal 2016 sein Bundestagsmandat kostete.
Seitdem lobbyiert Beck für die deutsch-israelischen Beziehungen und die Bekämpfung von Antisemitismus nach einer bestimmten, umstrittenen Definition; ein Engagement, das er mit der Zähigkeit und Entschiedenheit eines «politischen Straßenkämpfers ersten Ranges» verfolgt, wie ein deutscher Journalist, der ihn seit Jahrzehnten kennt, im Privaten kommentiert. Als Beck begriff, dass ich ihn porträtieren wollte, wich er mir aus und lief zurück in den Konferenzraum. Wie er dort nun saß, alleine, über sein Smartphone gebeugt, vermutlich schon dabei, den nächsten Tweet in die Displaytastatur zu hacken, da wirkte er alt auf mich, fast gebrechlich. Irgendetwas an ihm war erschreckend menschlich. Er war einer jener unzähligen alternden Menschen, die sich in eine Onlinewelt geflüchtet hatten, um gegen die Einsamkeit und die Angst vor der Bedeutungslosigkeit anzukämpfen, nur um in eine hyperspezifische Art von politischem Extremismus abzugleiten.
Ein Großteil von Becks Social-Media-Posts erinnert an den sprichwörtlichen Onkel, der Familienfeiern mit seinen gehässigen Tiraden und seinem endlosen Schwadronieren über Themen verdirbt, von denen er kaum etwas versteht. Nach dem Beeper-Angriff Israels auf die Hisbollah im vergangenen September, den mehrere Menschenrechtsorganisationen als wahrscheinliches Kriegsverbrechen verurteilten, postete Beck seine «favorite» Memes, darunter ein Beeper mit der Anzeige «your 72 virgins are waiting» (deine 72 Jungfrauen warten). Als der Vatikan ein Krippenspiel mit dem Jesuskind in Kufiya aufführte, wetterte Beck, dieser Papst sei «nie ein Theologe» gewesen. «Er ist ein Opportunist.» Und als Ende Dezember in mehreren Quellen zu lesen war, dass palästinensische Babys an Unterkühlung gestorben seien, gehörte Beck zu den vielen deutschen Hobby-Medizinern, die die Todesfälle infrage stellten. «Das Leben in Gaza ist eine Katastrophe», kommentierte er zu einem Screenshot der Wettervorhersage für den Gazastreifen. «Hamas muss mit einer Kapitulation das Sterben beenden. Aber die Meldungen über angebliche Erfrierungstote, die hier gerade kursieren, kann ich mir nicht erklären.»
Während in Gaza der Krieg tobte – mit Hunderttausenden getöteten, verwundeten oder vertriebenen Palästinenser:innen, Dutzenden noch immer gefangenen israelischen Geiseln, einem Genozid-Verfahren gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof und einem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen seinen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu – unter anderem wegen des Kriegsverbrechens der Aushungerung –, da schien Beck geradezu unersättlich nach Beweisen dafür zu suchen, dass die Welt sich gegen Israel verschworen habe. Ein jüngerer Tweet legt nahe, das Rote Kreuz und verschiedene UN-Organisationen könnten gemeinsam mit dem Autohersteller Toyota glänzend weiße Pick-ups direkt in die Hände der Hamas geschmuggelt haben; ein von Beck weiterverbreiteter Clip über Hilfslieferungen warnt, dass «jeder Lastwagen (…) eine weitere gute Gelegenheit für die Hamas [ist], zu stehlen, Geld zu machen, wieder aufzurüsten und anzugreifen»; ein anderer retweeteter Beitrag entrüstet sich darüber, dass eine propalästinensische Frau auf einem feministischen Protestzug in Berlin heißen Tee über einen jüdischen Journalisten verschüttet habe.
Als der Hongkonger Filmemacher Jun Li auf der diesjährigen Berlinale für einen kleinen Skandal sorgte – er hatte eine Erklärung zugunsten palästinensischer Rechte verlesen, die mit dem Slogan «From the River to the Sea» endete –, lamentierte Beck, er könne das Filmfestival nicht mehr genießen, weil dort eine «antiisraelische Massenhysterie» vorherrsche. Der Slogan, den die säkulare palästinensische Nationalbewegung seit den 1960er Jahren verwendet, wurde vom deutschen Innenministerium im November 2023 zu einem Kennzeichen der Hamas erklärt und seine öffentliche Verwendung verboten. In den vergangenen 16 Monaten hat die deutsche Polizei ihn auf Demonstrationen regelmäßig untersagt und Aktivist:innen aufgrund seiner Verwendung festgenommen, oft mit brutaler Gewalt. Laut Robert Brockhaus vom Verfassungsblog sind allein in Berlin hunderte Strafverfahren wegen des Gebrauchs der Wortfolge anhängig. Die Amts- und Landgerichte sind sich uneins, ob die Äußerung des Slogans wirklich strafbar ist. Während mindestens zwei Frauen deswegen bereits zu Geldstrafen verurteilt wurden, ist in anderen Fällen und nicht nur in Berlin eine Strafbarkeit abgelehnt worden.
Becks Non-stop-Kommentierung solcher Themen macht meist knapp vor der Forderung nach direkter politischer Repression oder staatlicher Gewalt Halt, doch seine Furcht vor «antisemitischen Codes und Chiffren» trägt zu einem Klima der Angst und Zensur bei, das alle Ebenen des öffentlichen Lebens in Deutschland erfasst. Das Canceln oder «Verschieben» von Veranstaltungen und Einladungen auf unbestimmte Zeit ist ein neuer deutscher Nationalsport mit Hunderten von Opfern geworden. Becks politischer Horizont reicht über Israel hinaus – wie der Großteil des deutschen Establishments plädiert er vehement für eine Wiederaufrüstung angesichts von Putins Krieg gegen die Ukraine und engagiert sich weiterhin für Umweltanliegen. Aber seine Neigung, selbst dann noch David zu spielen, wenn er offensichtlich Goliath ist, und seine für Social-Media-Abhängige so typische, aalglatte Verachtung von Menschenleben und Anstand, haben Deutschlands geistige Landschaft verändert.
Der lauteste Goy
Beck ist kein Jude. Er hat weder Universitätsabschlüsse in Religions- oder Rechtswissenschaften noch berufliche Erfahrungen im Bereich der Diplomatie oder der internationalen Beziehungen. 1987 brach er sein Studium an der Universität Stuttgart ab und widmete die meiste Zeit seiner langen und erfolgreichen politischen Karriere innenpolitischen Fragen. Als Präsident der einflussreichen Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Geschäftsführer des Berliner Tikvah Instituts (das offenbar keine Verbindung zum US-amerikanischen Tikvah Fund hat) und Mitbegründer der Experteninitiative Religionspolitik – einer der zahllosen pädagogischen Initiativen, mit denen deutsche Regierungsstellen die Demokratie zu retten versuchen – ist Beck dennoch ohne Zweifel eine der einflussreichsten Stimmen über jüdisches Leben in Deutschland.
Alle, mit denen ich für diesen Text gesprochen habe und die ihn kennen, sind sich einig: Beck ist hochintelligent, verfügt nachweislich über detailliertes Wissen in einer Vielzahl von Themengebieten und hat eine lange, sagenumwobene Karriere als Vorkämpfer für Schwulen- und Lesbenrechte sowie verschiedene humanitäre Anliegen hinter sich. Doch fast immer, wenn ein Skandal um Antisemitismusvorwürfe aufkommt oder Deutschland seine unscharf definierte Staatsräson benutzt, um internationales Recht, die Meinungsfreiheit oder die Prinzipien der universellen Menschenrechte geringzuschätzen, finden sich auf Becks Twitter-Profil trötende Kommentare – ganz wie von jedem kleingeistigen Jogginghosentyrann, der «’Merica» brüllt, bevor er zum eigenen Vergnügen eine beiläufige Grausamkeit begeht, eine Spur zu Truth Social führt. Als deutsche Bürokrat:innen nach dem 7. Oktober Jüdinnen und Juden wie Masha Gessen, Nancy Fraser, Nan Goldin oder Yuval Abraham des Antisemitismus bezichtigten, hatten sie die Rückendeckung eines juristischen und medialen Apparats, der ohne Becks Einfluss undenkbar wäre.
Nicht nur in Deutschland ist es schwer, herauszufinden, wer wann was über Israel sagen darf. Die Debatte hier ist aber vielleicht insofern einzigartig, als das Land ein überaus großes Interesse an Jüdinnen und Juden zeigt, obwohl sie eine sehr kleine Minderheit darstellen, die nicht nur fortgesetzten antisemitischen Vorurteilen von nichtjüdischen Deutschen ausgesetzt ist, sondern auch in eine Identitätspolitik hineingezogen wird, die zerrissen ist zwischen der rituellen Betonung nationalsozialistischer Verbrechen und einem vielfältigeren, multiethnischen Verständnis des Deutschseins.
Achtzig Jahre nach dem Holocaust stehen die meisten Synagogen und jüdischen Einrichtungen in Deutschland noch immer rund um die Uhr unter Polizeischutz. Es scheint also verständlich, dass die Organisator:innen der Konferenz, auf der ich Beck ansprach, ein Banner mit der Aufschrift «Wir beziehen jüdische Perspektiven ein» neben dem Rednerpult platziert hatten. Aber an jenem Tag identifizierte sich nur eine der redenden Personen als jüdisch. Problematischer ist, dass die oft linken US-amerikanischen und israelischen Jüdinnen und Juden, die neben deutschen sowie neu zugewanderten aus Osteuropa die dritte Säule der jüdischen Community in Deutschland bilden, mit ihren Ansichten systematisch unterdrückt werden, um die offenbar einzig akzeptierte Sichtweise auf Israel und Palästina zu schützen. Der Journalistin Emily Dische-Becker zufolge war ein Viertel der 2023 in Deutschland wegen Positionen zu Israel gecancelten Personen jüdisch. Ein ausufernder bürokratischer Apparat, der judenfeindlichen Hass überwachen soll, bezichtigt jüdische Künstler:innen und Wissenschaftler:innen regelmäßig des Antisemitismus.
Diese simple Absurdität sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man über Volker Beck nachdenkt. Die Angst vor Antisemitismus, die viele Deutsche umtreibt, maßgeblich befeuert und verstärkt von Beck, baut die Gesellschaft allmählich nach dem Vorbild ihrer eigenen Obsessionen um, so wie die US-Gesellschaft sich erneut dem hingibt, was der Historiker Richard Hofstadter als den «paranoiden Stil» in der Politik bezeichnete. Die Absurdität ist jedoch anders gelagert. Deutschland droht weniger in eine Art ablenkungssüchtigen «Faschismus aus Schadenfreude» abzurutschen, wie er die USA erfasst hat. Eher scheint es, als würden große Teile des juristischen Apparats, der die Wiederkehr des Faschismus verhindern sollte, ausgerechnet durch die gravitätische Bemühung untergraben, den Antisemitismus zu bekämpfen.
Die rechtsextreme AfD ist ein zumindest indirekter Treiber dieser Entwicklung, denn sie hat die erste von mehreren Resolutionen in den Bundestag eingebracht, wonach die Unterdrückung des sogenannten israelbezogenen Antisemitismus mehr Gewicht haben sollte als die Meinungsfreiheit, die Kunstfreiheit oder die Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Da ist aber noch etwas anderes: eine Art zwanghafte Befolgung willkürlicher Regeln und Prozesse. Das römische Recht unterschied zwischen querimonia, legitimen Klagen, und querela, fadenscheinigen Ansprüchen, die das Rechtssystem unterlaufen. Berüchtigterweise verwendeten die Nazis den Begriff «Querulanten», um Kritiker:innen mundtot zu machen, die versuchten, mit rechtlichen Mitteln gegen die totalitäre Herrschaft zu opponieren. In der psychiatrischen Tradition des 19. Jahrhunderts, aus der der Begriff stammte, hatte die Neigung zu fadenscheinigen und unsinnigen Rechtsverfahren aber nur bedingt mit dem Justizsystem zu tun. Vielmehr handelt es sich um einen zwanghaften Drang, Recht zu behalten, auch wenn alle Befunde und der gesunde Menschenverstand dagegen sprachen. Die Störung wurde erstmals 1858 vom forensischen Pathologen Johann Ludwig Casper beschrieben und als «Wahnsinn aus Rechthaberei» bezeichnet. Besonders, aber nicht nur im Zusammenhang mit dem Diskurs zu Israel scheint Deutschland zu einer Nation von Querulanten geworden zu sein.
Den Israeldiskurs einschränken
Am Ende seiner parlamentarischen Laufbahn war Beck nicht nur der effektivste Verfechter von Schwulen- und Lesbenrechten seiner Generation, er galt auch als eine der größten politischen Hoffnungen im Kampf gegen den erstarkenden Rechtsextremismus. In einem vielgelobten Talkshow-Auftritt 2016 mit der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry profilierte er sich als einer der wenigen deutschen Politiker:innen, die ihr Engagement für Menschenrechte mit solcher Klarheit und moralischem Nachdruck zu artikulieren verstanden, dass die Extremistin in die Enge getrieben wurde. Andreas Petzold bezeichnete dies im Stern als «ein hübsches Lehrstück, wie man den politischen Gegner auf der glitschigen Bühne einer Livesendung lang hinschlagen lässt».