Semiotext(e) Nov. 2024 32 € 704 S.
Ich kannte ihn lange nur als Biografen des genialen Jack Spicer, jenes enigmatischen Poeten, der folgenden niemals mehr aus meinem Gedächtnis wegzudenkenden Satz über den Mond schrieb: «if it were spelled ‹mune› it would not cause madness». Aber Kevin Killian war viel mehr, ein unter Eingeweihten legendärer experimenteller Dichter, Theaterautor und – der höchstwahrscheinlich bedeutendste Amazonrezensent aller Zeiten. Der nun postum herausgegebene Band Selected Amazon Reviews ist eines der unterhaltsamsten Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. Siebenhundert Seiten, durch die man mühelos und vollkommen beglückt hindurchschwebt – und gar nicht zwingend chronologisch, denn sobald man das Buch irgendwo aufschlägt und eine Rezension gelesen hat, braucht man sofort auch die nächste, ein bisschen wie in Rayuela.

Der Titel ist kein postmodernes Spiel, das Buch versammelt tatsächlich einen Großteil von Killians in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren (von 2004 bis zu seinem Tod 2019) auf der weltbeherrschenden Webseite hinterlassenen Kundenbewertungen. Viele davon behandeln, wohl seinen Neigungen entsprechend, Literatur und Filme, aber auch einige Haushalts- und Gebrauchsgegenstände werden von diesem hellwachen Geist besprochen. Auffallend viele Fünf-Sterne-Rezensionen sind dabei. Killian war, wie dieses Buch sehr deutlich vorführt, kein Freund der mürrisch-elitären Ablehnung. Beinahe alles, selbst offenkundiger Schrott, findet, wenn schon echte gütige Zuwendung nicht möglich ist, zumindest aufmerksame Durchleuchtung.
Dabei ist die Balance dieser Auswahl eines ihrer besonders befriedigenden Elemente. Aufrichtiger Lobpreis auf hoher kunstkritischer Ebene wechselt alle zehn, fünfzehn Seiten mit Besprechungen eher kunstferner Dinge ab. Wären die Schmerzmittel, Reinigungsutensilien und Trolleykoffer in der Überzahl, färbte der Glanz der literatur- und filmkritischen Klugheiten weniger glorreich auf ihre Besprechung ab; gäbe es umgekehrt fast nur die hochkulturellen Mini-Essays, würden die wenigen Ausnahmen wiederum etwas aufgesetzt und klamaukhaft wirken. Aber in der vorliegenden Komposition sehen wir ein recht ungekünstelt wirkendes Gesamtbild, l’homme entier, und seine sich auf verschiedene Produkte ausbreitenden Lebensansichten.