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Some People Need Killing: Eine Geschichte der Morde in meinem LandPatricia Evangelistaübers. v. Zoë Beck
CulturBooksSept. 2025 28 € 368 S.

Ich wohne in einer ruhigen Straße in München, eine Pizzeria, ein Bäcker, am Ende der Straße ein Park. Es gibt Zeiten, da ist die Straße weniger ruhig, nachts vor allem und morgens um halb acht. Da gehen Menschen die Straße auf und ab, fast immer in Gruppen. Sie schreien, auch wenn sie ein gewöhnliches Gespräch führen. Sie sind gestresst, sie haben es eilig. Mancher Gang federt ungleichmäßig, mancher Schritt schert aus und stolpert. Ein graues Gesicht, ein suchender Blick. Ihr Stress überträgt sich.

Der Druck auf der ruhigen Straße nimmt zu, bis die Ärztin auf der anderen Seite des Parks endlich das Metalltor aufsperrt. Um acht Uhr öffnet die Praxis der Suchtmedizinerin. Dann wird es ruhiger. Dann sammeln sich ihre Patienten im Park. Wem gehört dieser Raum? Ist es ihrer, oder unserer?

Alle Nachbarn, mit denen ich in letzter Zeit gesprochen habe, vor allem die mit Kindern, wollen wegziehen. Ich auch. Noch lieber aber wollen die Bewohnerinnen und Bewohner der ruhigen Straße, dass die weggehen. Sie sollen ihre Schlafsäcke mitnehmen, ihre Spritzen und ihren Schmerz. Und wenn sie plötzlich weg wären, von einem Tag auf den anderen? Wenn der Mann mit Pinzette und Handspiegel nicht mehr auf der Parkbank säße und seine Bartstoppeln zupfte – wer von uns würde nach ihm fragen?

Die ehrliche Antwort ist: Niemand würde nach ihm fragen. Oder doch, vielleicht seine Schwester oder jemand, der in ihm einen Freund sieht. Oder jemand, der ihn kennt und weiß: Das ist ein Mensch mit einem Gesicht und einer Geschichte.

Vielleicht würde eine Reporterin nach ihm fragen.

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Welche Farbe haben die Schuhe?

München ist nicht Manila, die Hauptstadt der Philippinen. Beides zu vergleichen, mag wenig sinnvoll erscheinen. Vor allem, wenn man so wenig über Manila weiß wie ich. Aber wenn es gar nicht um Vergleiche geht, sondern um den Kern dessen, was Menschen ausmacht und antreibt, dann rücken die beiden Städte näher zusammen. Von diesem Kern handelt Patricia Evangelistas Buch Some People Need Killing. Als Journalistin berichtet sie jahrelang über den «Drogenkrieg» in ihrem Land. Trotz ständiger Drohungen wartet sie lange, bevor sie die Philippinen verlässt. Ihr Buch schreibt sie mit einem Stipendium in den USA zu Ende.

Evangelista wird 1985 geboren, fünf Monate bevor eine Revolution den Diktator Ferdinand Marcos stürzt und der Demokratie auf den Philippinen wieder eine Chance gibt. Sie erlebt Machtwechsel um Machtwechsel, Jahrzehnte voller Erwartungen und Enttäuschungen. 2016 wählen die Filipinos und Filipinas Rodrigo Duterte zum Präsidenten. Er ist mit dem Versprechen angetreten, in sechs Monaten der Korruption und dem Verbrechen ein Ende zu setzen. Der Grund, warum alles so schlecht laufe? Die Drogenabhängigen. «Hitler vernichtete drei Millionen Juden. Hier gibt es drei Millionen Drogenabhängige. Ich werde sie liebend gern abschlachten». Duterte bekommt Applaus, und dann die Mehrheit der Stimmen.