Ullstein Nov 2024 34,99 784 S.
Ein diskreter Spion – die Briefe von John le Carré, dem toten König des Agentengenres – ist ein Buch der Absagen. Er sagt der London Review of Books ab («Vetternwirtschaft»), er sagt ein Buchprojekt mit Stalins Tochter ab («Showbusiness»), er sagt Philip Roth ab («das Problem ist meine Mutter»), er sagt der Novartis Pharma eine Paneldiskussion ab («Ich bin nur ein Symptom»), er sagt dem Oppositionsführer gegen die griechische Militärdiktatur ab («Politik ist nichts für mich»), er sagt Margaret Thatcher ein erstes Mal ab («grässliche[r] Zustand»), dann ein zweites Mal, als sie ihm einen Orden verleihen will («Schuldgefühle»), er sagt zwei Finnen ab, die ihn zum Eisbaden animieren wollen: «Nein, sagte ich, es gibt ja nur ein Loch. Ich brauche zwei, sagte ich, eins um hineinzusteigen & ein anderes, um herauszukommen.»
An allem, was er nicht abgesagt hat, scheint er schwer zu leiden. Er hadert damit, «als Euro-Star ‹entdeckt› worden» zu sein, und ärgert sich «ständig abgeschleppt» zu werden, «um große Reden über nichts zu halten». Es sind die Absagen, die am ehesten korrespondieren mit dem gegerbten Gesicht auf dem Cover, dem Originaltitel (A Private Spy meint einen einsamen Spion und keinen diskreten), und dem Image, das David Cornwall, besser bekannt als John le Carré, ein Leben lang gepflegt hat. Vor allem aber werfen sie ein sonderbares Licht auf den Berg an Liebesbekundungen, Schmeicheleien und Ehrerbietungsadressen, unter denen sie begraben sind.
Sycophancy ist das vornehme englische Wort dafür, und nur dieses scheint seiner Art gemäß, auch wenn le Carré, mit seiner lebenslangen Begeisterung für die deutsche Sprache und Geisteswelt, an der Drastik des deutschen Pendants der Speichelleckerei bestimmt seine Freude gefunden hat. Stephen Fry, einer der Geschmeichelten, revanchiert sich mit gleicher Münze: «Aber diese Briefe! So sorgfältig und voller Engagement. Freundlich, scharfsinnig, detailliert – ich kann fast seine Augenbrauen leise rascheln hören.» Wer sich für mehr interessiert als das Rascheln von Augenbrauen, der muss sich die Agentenbrille aufsetzen und den warmen Worten in diesen Briefen mit Kälte, Skepsis und einer produktiven Paranoia begegnen.
«Ich hasse das Telefon»
Mit einem an Le Carrés eigenem Werk geschulten Blick ist man geneigt, ihm kein einziges Wort zu glauben. Hat er die ganzen Abendessen, für die er sich so strapaziös bedankt, wirklich genossen? Wieso spricht jemand, der andauernd betont wie anstrengend es ist, unter Leuten zu sein, ununterbrochen Einladungen aus? Was stand in den ganzen Briefen, die er selbst oder die Empfänger vernichtet haben? (In einem besonders dramatischen Fall wurden sie «in der Küchenspüle verbrannt».) «Wir alle schreiben heutzutage viel zu wenige Briefe», schreibt er. Zu wenige!?, will man ihm von der Lektüre ermattet zurufen. In seinen Romanen würde dieser graphomanische Exzess von einer kompromittierten Figur ausgehen, deren Mitteilungsdrang den verzweifelten Versuch darstellt, sich selbst vom eigenen Bullshit zu überzeugen. Die ganzen Beteuerungsvokabeln wie «wirklich», «unendlich» und «vorzüglich» wären kursiv hervorgehoben, damit sie einen schmerzen wie scharfe kleine Kiesel.
Le Carré wurde von den Geheimdiensten Ihrer Majestät angeworben, da war er noch Teenager und auf der Flucht aus dem Internat. Der Sohn eines skrupellosen Hochstaplers war das Lügen gewohnt. Von seiner Mutter im Alter von fünf Jahren verlassen, musste ihm die zwielichtige Kameradschaft der Schattenwelt vorkommen wie Nestwärme. Als Spitzel verriet der seelisch Unbehauste seine kommunistischen Studienfreunde in Oxford an den Inlandsgeheimdienst MI5. Später als Schriftsteller benutzte er sein ganzes Spionagehandwerk, um geheime Affären mit den Frauen seiner Konkurrenten zu führen. Aufgedeckt hat das sein Biograf Adam Sisman, dessen John le Carré: A Biography Tim Cornwall, le Carrés Sohn, bei der Auswahl der Briefe als Leitschnur diente.