Claassen Feb 2025 €25 400 S.
Hogarth Jan 2025 $29 368 S.
Berlin hört nicht auf, zu Ende zu gehen. Es ist vorbei, als nach dem Sommer der Hausbesetzungen im November 1990 die Polizei brutal die Mainzer Straße räumt. Vorbei, als die Love Parade kommt, vorbei, als sie geht. Vorbei, als landeseigene Wohnungen zum Spottpreis verkauft werden und sich im Eigentum eine neue Bürgerlichkeit einnistet. Vor zehn Jahren verkündet die kurze Zeit später von Peter Thiel verklagte Gossip-Plattform Gawker in einer knappen Meldung: Berlin is over, zur großen Aufregung deutscher Tageszeitungen. Sogar US-Trendreporter sind damals überzeugt, dass die nun immer aggressiver zuziehenden Brooklynites das Endstadium einer unaufhaltbaren Gentrifizierung einleiten.
Seit einiger Zeit wird Berlin jetzt wieder und immer noch für tot erklärt, aber unter anderen Vorzeichen: Es geht die Angst um, dass die Aufwertung Berlin nicht zur generisch austauschbaren Welt-, sondern zur mittelmäßigen, repressiven Hauptstadt machen könnte. Selbst wer – wie ich – viel auf die eigene Desillusionierung hält, stellt erschrocken fest, dass all der Naturwein einerseits und all die Parallelgesellschaften andererseits nichts daran geändert haben, dass Berlin in Deutschland liegt. Dass die unendlich geteilte Stadt, je mehr sie zusammenwächst, womöglich sogar tiefer in die Nation zurückfällt. Auf der Sonnenallee wütet die Staatsräson bis tief in die Chicken-Restaurants hinein. Das Lieblingsessen des Regierenden Bürgermeisters, der ungern Englisch spricht, ist Pfeffersteak mit Pommes.
Die Berlin-Gothic-Romane
Während die Stadt für tot erklärt wird, hat das englischsprachige Berlinbuch im Stil des «Berlin Gothic», wie Alex Cocotas es vor kurzem in The Baffler genannt hat, Konjunktur. In Kirsty Bells The Undercurrents tropft es so lange ominös aus der Decke, bis die Geschichte des Wohnhauses durchtherapiert ist. In Lauren Oylers Fake Accounts tauchen totgeglaubte Ex-Freunde auf den Straßen des Weserkiezes auf, als er noch cool war, und in Calla Henkels Other People’s Clothes verbirgt sich hinter Geheimtüren in untergemieteten Altbauwohnungen ein augenzwinkernder Krimiplot. Cocotas, der das Genre in einem langen Essay entdeckt und durcharbeitet, kann die Stadt, in der er selbst seit zehn Jahren als Expat wohnt, in vielen dieser Romane nicht wiedererkennen.
Für ihn beschreiben sie einen nichtexistenten Ort, an dem nie jemand zur Arbeit muss und die zum Klischee geronnenen «Geister der Vergangenheit» jederzeit easy zum Sprechen gebracht werden können. Vielleicht liegt es daran, dass es in diesen englischsprachigen Berlinbüchern nur bedingt um Berlin als real existierende Stadt geht, die Ruine der Sozialdemokratie mit ihren Terminvergabesystemen, ihrem bröseligen Aufbackbörek. Sie behandeln vielmehr Berlin, die Allegorie: eine Fantasie der Herzensbildung unter den vermeintlichen Bedingungen von bezahlbarem Wohnraum, Kulturförderung, freier Sexualität, etc. Eine Stadt, in der die Mauer für immer fällt, in der Geschichtlichkeit Dynamik verspricht, weniger die schmerzhafte Grenze eigener Erfahrung.
«Der Club hieß nicht wirklich Bunker»
Auch in Aria Abers Good Girl, das fast zeitgleich auf Deutsch und Englisch erscheint, entfaltet sich Berlin als stadtgewordener Künstlerroman. Nach dem Abitur im Münsterländer Mädcheninternat kehrt die 18-jährige Nila um 2010 ins Problemviertel Gropiusstadt zurück, dort ist sie als Tochter afghanischer Flüchtlinge aufgewachsen. Mit allem, was sie hat, übergibt sie sich einem Schwebezustand – aufgespannt zwischen den Erinnerungen an ihre verstorbene Mutter und den ausgetretenen Pantoffeln ihres noch lebenden Vaters einerseits und andererseits Nächten von Samstag auf Montag. Der Roman scheut sich nicht, die Genre-Konventionen von Berlin Fiction in vollen Zügen und üppigen Lines zu genießen: Dauernd riecht es nach Döner und Urin, löst sich eine Selbstverortung im K-Hole auf. Touristen posieren, wie gehabt, taktlos am Holocaustmahnmal. Schon auf Seite vier geht es ab ins Berghain, hier nur als «Bunker» vorgestellt: «Der Club hieß nicht wirklich Bunker, aber ich werde ihn jetzt so nennen, denn so erlebten wir ihn damals, als Zuflucht vor dem Krieg unseres Alltags, ein Gebäude, in dem die Historie dieser Stadt, dieses Landes unter unseren Füßen korrodierte, während unsere Körper wie Maschinen frei herumlaufen und träumen konnten.»