Die Macht Anderer übt eine merkwürdige Anziehungskraft aus. Sie stellt das politische Denken vor ein Rätsel, dem der französische Richter Étienne de la Boétie schon am Beginn der Neuzeit sein Traktat über die «freiwillige Knechtschaft» widmete. Im 17. Jahrhundert verlieh Spinoza derselben Irritation Ausdruck, als er feststellte, dass Menschen beizeiten für ihre eigene Knechtschaft kämpfen, als sei es für ihr Heil. Überall dort, wo Akademiker:innen für Antiintellektualismus empfänglich sind, Mittellose sich einen Milliardär zum Champion machen, Frauen einen Sexisten bewundern oder Migrant:innen in rassistische Hetze einstimmen, drängt sich die Frage erneut auf: Wie lässt sich ein politisches Handeln verstehen, das den Interessen der Handelnden zuwiderläuft?

Will man nicht eigene Vorurteile pflegen, sollte man in der Beantwortung dieser Frage keinen allzu schlichten Begriff von Interessen anlegen oder gar von einer Übereinstimmung von sozialer Position und politischer Überzeugung ausgehen. Spinozas Vergleich verweist dennoch auf eine Dimension von Politik, die eine Analyse, die diesen Widerspruch erklären möchte, ernst nehmen muss: Die Bedeutung von Wünschen und Fantasien oder allgemeiner: dem Begehren in ihr.

Der Faschismus bildet für diese Irritation den paradigmatischen Fall, seit die kommunistische Linke der 1920er Jahre feststellen musste, dass eine politische Bewegung, die sie (korrekt) als Feindin der Arbeiterklasse identifiziert hatte, auch auf diese Klasse eine ungeheure Attraktion ausübte. In der Nachkriegszeit setzte sich die Erzählung von einem verführten und betrogenen Volk durch. Aber selbst dort, wo man das Wünschen und Wollen der Bevölkerung zur Erklärung der jüngsten Vergangenheit heranzog, wurde der Nationalsozialismus weit außerhalb der politischen Normalität situiert: als teuflische Täuschung oder kollektiver Wahn.

In den vergangenen Jahren war es unter politischen Kommentator:innen schließlich weit verbreitet, die Wahl offen rassistischer und ethnonationalistischer Parteien und Politiker:innen wegzuerklären, indem man sie als Protest beschrieb. Im Rückgriff auf Texte der Philosophen George Bataille und Gilles Deleuze sowie des Psychiaters Félix Guattari möchte ich eine andere Perspektive vorschlagen: Selbst wo es keinen Profit einzufahren gibt, ja das Bankkonto oder die Karriereleiter sogar Schaden zu nehmen droht, ist in der Parteinahme für den Faschismus ein Gewinn zu verbuchen – ein Lustgewinn.

Lenkung der Leidenschaften

Weil wir gewohnt sind, das Politische mit der öffentlichen Aushandlung zu identifizieren, während wir Gefühle für privat und meistens ziemlich unvernünftig halten, mag diese These befremden. Obwohl sie aus einer anderen intellektuellen Tradition kommen, machten der Soziologe Leo Löwenthal und der Philosoph Theodor W. Adorno in den 1940er und 1950er Jahren allerdings eine Reihe ähnlicher Beobachtungen. Zusammengenommen erhellen diese Befunde Aspekte der gegenwärtigen Situation, die aus den üblichen Perspektiven auf die Politik unverständlich bleiben. Der von diesen Autoren in Rechnung gestellte Lustgewinn stellt sich dabei nicht trotz, sondern im Zuge der Selbstunterwerfung ein. Diese Unterwerfung hegt deshalb Gewalt nicht etwa ein, sondern enthemmt sie noch.

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Seit ihren antiken Anfängen waren der politischen Philosophie die Leidenschaften vor allem suspekt. Affekte stören. Von Senecas Ermahnung seines Zöglings Nero bis zu Niccolò Machiavellis Ratschlägen an den Fürsten war es ihr darum zu tun, sie zu kontrollieren. Mit dem Eintritt der Massen in die Politik, konventionell auf die Französische Revolution datiert, veränderte sich zwar die Gemengelage. Nun ging es nicht mehr darum, einem rachsüchtigen Potentaten Zurückhaltung zu empfehlen, sondern den Enthusiasmus von Millionen entfesseln und wieder hemmen zu können. Die Leidenschaften blieben jedoch das, was sie schon im antiken Rom gewesen waren: ein Problem der Lenkung.