Wer dem TikTok-Algorithmus gegenüber mit ein, zwei Taps ein Interesse an deutschen Rechten signalisiert, bekommt prompt zu spüren, was die AfD auf der Plattform so erfolgreich macht. Die Synthesizer eines rechtefreien Track namens «Epic Inspiration» schwellen apokalyptisch an, während Alice Weidel einer nicht ganz ausverkauften westdeutschen Veranstaltungshalle zuwinkt. Ulrich Siegmund, Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt und mit knapp 380.000 Followern der Politiker mit dem zweitgrößten TikTok-Account in Deutschland, grinst in die Kamera: «Wir haben genug.» – als berichtete er von einem epischen Sieg, nicht von der örtlichen Bauerndemo mittlerer Größe.

In seinem meistgeschauten TikTok steht der Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, vor einer Regalwand: Glasvasen im gehobenen Amazon-Prime-Stil, vage nostalgische Miniatur-Flugzeuge, nach Farben sortierte Bücher. Krahs Satzteile sind, frei nach den Konventionen des Genres, schmissig ineinander geschnitten und mit weiß umrandeten, mitternachtsblauen Blockbuchstaben auf rotem Grund untertitelt. «Jeder dritte junge Mann», hebt er an, «hatte noch nie eine Freundin. Du gehörst dazu? Guck keine Pornos. Wähle nicht die Grünen. Geh raus an die frische Luft. Steh zu dir. Sei selbstbewusst. Guck geradeaus. Und vor allem: Lass dir nicht einreden, dass du lieb, schwach, soft und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Dann klappt’s auch mit der Freundin.»

Ein solches Du, so vertrauenerweckend wie konfrontativ in seiner Banalität, ist von Politiker:innen anderer Parteien im Moment nicht wahrzunehmen. Dabei heben sich solche rechten Medienstrategien in ihren Bildwelten kaum von irgendeinem Mainstream ab, sie montieren vermeintliche und durchaus widersprüchliche deutsche Normalitäten bloß anders zusammen, bilden sie anders ab: als – von Kleinstadtprotest bis Frischluftdogma – bürgerliche Frontstellung, die es erforderlich macht, dass man die mehr als nur rhetorische Aufrüstung selbst in die Hand nimmt.

Nach einer Studie des Politikberaters Martin Fuchs haben AfD-Bundestagsmitglieder auf TikTok bis Januar 2024 zusammen fast 18 Millionen Likes gesammelt; die Abgeordneten der gesamten Regierungskoalition kamen insgesamt auf etwas mehr als zwei Millionen. Spätestens nachdem auch der von der Rechercheplattform Correctiv enthüllte «Geheimplan gegen Deutschland» die strategische Bedeutung von rechtem Influencing betonte, wird überall versucht, die TikTok-Dominanz der AfD alarmiert zu enträtseln. Verglichen nicht mit den Grünen, die aus Datenschutzgründen ohnehin erst seit Kurzem dabei sind, sondern mit professionellen, deutschsprachigen Content Creators, die Likes in Milliarden- statt in Millionenhöhe monetarisieren, lassen sich die AfD-Zahlen anders einordnen: nicht als perfide Manipulation abgehängter Teenagermassen, sondern als ernstzunehmende politische Dynamik.

Die liberale Faszination mit dem vermeintlichen technologischen Vorsprung der Rechten (die sich schon entzündet hatte an Cambridge Analytica, russischen Trollfarmen, Microtargetting) überspielt auch den eigenen Unwillen, sich wirklich damit auseinanderzusetzen, wie selbstgebastelt und damit anschlussfähig ihre Methoden wirklich sind. Die ständigen Versuche, rechten Content als manipulative Desinformation zu «entlarven«, führen eher noch zu seiner weiteren Glorifizierung: Sellner, Krah und Co. erscheinen als die technikaffinen Großerzähler, als die sich ja auch verstehen. Beim Scrollen auf TikTok spürt selbst der Gelegenheitsrechte, dass es nicht in erster Linie darum geht, wie realitätsnah die jeweilige Hetzkampagne ist, sondern was er sich vom Mitjagen erhoffen darf.

Zur rechten Zeit am rechten Ort

«Guck geradeaus»: Die Innovation, die TikTok populär gemacht hat und inzwischen von allen anderen großen Social-Media-Plattformen übernommen wurde, ist selbst in der zweiten Person formuliert: die For You-Page. Anders als Facebook oder Instagram, die zunächst auf direkte Interaktionen mit Freund:innen und Celebrities, Meme- und Life-Hack-Accounts geeicht waren, denen man vorher gefolgt war, nimmt TikTok den Nutzer:innen das Kuratieren so behutsam wie energisch aus der Hand. Der Algorithmus registriert, welche Beiträge eine Nutzerin in Sekundenbruchteilen beiseite wischt, bei welchen sie immer wieder hängenbleibt – und kompiliert auf dieser Grundlage Wiedererkennungs- und Überraschungswerte, personalisierte Nischeninteressen und weltweit viralen Content, um eine Dramaturgie zu erstellen, die auf die maximierte Verweildauer auf TikTok angelegt ist.

Indem sie also auch das Verhalten ausliest und prognostiziert, das (noch) latent bleibt, das Nutzer:innen nicht selbst in Form von Kommentaren und Suchbegriffen ausbuchstabieren, bringt die App das Unbewusste anders ins Spiel als zum Beispiel stumpf individualisierte Google-Werbung. Es lässt sich nicht verhindern, dass auf Social Media, wie in allen anderen Zusammenhängen, ernsthaft geträumt wird – nicht nur vom Great Replacement. Das gute Leben, das Instagram in den Zehner Jahren einst versprach: Glamour und Hotness für alle, extrem spezifische Quinoa Bowls und Vasen in Pastelltönen.

TikTok, auf einer Musik-App aufgebaut, begleitet den Alltag aus größerer Nähe, wie ein Soundtrack. Die immer wieder gleichen, kurzen, viralen Popfragmente laden bedrohlich Alltägliches mit Narrativen und Choreographien, mit den größtmöglichen Gefühlen auf. Es ist die Ästhetik hochstilisierter Unmittelbarkeit, die immer wieder in den Bann der For You-Page zieht, konkret zum Beispiel das Kameraruckeln, mit dem Videos einsetzen, wenn eine Userin ihr Handy auf einer Oberfläche abstellt, bevor sie sich beim Schminken oder Loslabern filmt. Selbst einige der erfolgreichsten Accounts, die ihre Videos längst aufwändig mit professionellem Equipment produzieren, bauen dieses Ruckeln noch immer in ihre Beiträge ein, als Wasserzeichen der Intimität, von der die Plattform – im guten wie im schlechten Sinne – lebt.

Sie sind nicht berechtigt, die Seite von dieser IP-Adresse aus zu besuchen.
Vous n’êtes pas autorisé.e à consulter le site depuis cette adresse IP.