Harvard University Press Feb. 2024 39,95 $ 276 S.
Matthes & Seitz Okt. 2023 28 € 334 S.
Princeton University Press Sept. 2023 35 $ 272 S.
Gallimard Apr. 2019 ca. 26 € 256 S.
Wir sind nicht im Mittelpunkt, sondern im Gedränge;
wir schiffen, wie andre Erden, im Strom umher und
haben kein Maß der Vergleichung.
Ein junger Mann mit dunkler Hautfarbe sitzt auf einem Stuhl, sichtlich angespannt und unbehaglich, am Rande einer vornehmen New Yorker Abendgesellschaft. Lauter weiße Menschen, die auf Sofas sitzen, am Büffet stehen oder sich auf den Teppich gefläzt haben; alle wirken irgendwie nachdenklich, hochkonzentriert, in Gedanken versunken, wie Intellektuelle eben so wirken, besonders amerikanische. Den Asiaten beachtet niemand. Er muss sich in dieser Gesellschaft auch eigenartig fremd gefühlt haben, wie wir aus seinem auf Bengali geschriebenen Tagebuch wissen: Benoy Kumar Sarkar (1887–1949), ein wichtiger Vordenker des indischen Nationalismus, ein weitgereister Kosmopolit, der in seinem Leben in insgesamt fünf Sprachen publizieren würde. Und als hätte die New Yorker Malerin Florine Stettheimer, denn wir sprechen hier über ein Gemälde, etwas von Sarkars zukünftiger Wichtigkeit geahnt, wies sie ihm ironischerweise doch einen prominenten Platz zu: direkt unter ihrem nackten Selbstporträt, das als Bild im Bild das obere Drittel ihres Gemäldes Studio Party, or Soiree (1917–1919) ausfüllt.
Auf der Suche nach dem asiatischen Geist
Sugata Bose ist ein indischer Politiker und Historiker, der seit vielen Jahren in Harvard lehrt (bekannt wurde er mit seiner Forschung zur Geschichte des indischen Ozeans). Sein Buch Asia after Europe entführt uns in die Welt des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Es ist ein Buch über Intellektuelle, die sich im Windschatten der europäischen Expansion den Kopf zerbrechen über ihre asiatische Identität und die Zukunft Asiens, inmitten multipler Krisen, die sie zu verschlingen drohen. Neben Sarkar bilden der Dichter und Maler Rabindranath Tagore (1861–1941) sowie der japanische Gelehrte Okakura Kakuzō (1863–1913) das innerste Zentrum dieses Buchs; als wichtige Nebendarsteller treten auf: der japanische Maler Yokoyama Taikan, der chinesische Revolutionär Sun Yat-sen, der philippinische Revolutionär José Rizal, der japanische Schriftsteller Noguchi Yone, die britische Buddhistin Nivedita. Menschen, die von jung auf transnationale Beziehungsnetze spinnen, sich über die Kulturgrenzen hinweg gegenseitig inspirieren, bewundern, aber auch beneiden lernen. Die Heftigkeit der Begegnung zwischen den noch unverbundenen Wirklichkeiten spiegelt sich in ihren Lebensläufen wider, in ihrem Weltschmerz, ihrem unerschütterlichen Glauben an die «Wiedergeburt» Asiens.
Das Einfachste war noch, im privaten Kunstgenuss Platz für Eigenes zu schaffen: Tagore nahm im Jahr 1903 einfach einmal ein europäisches Ölgemälde von der Wand seines Studios, um dort ein Bild des japanischen Malers Yokoyama aufzuhängen. Wesentlich schwieriger war es, sich mit anderen Menschen über die Bedeutung Asiens, seiner Geschichte und Kultur zu verständigen. In Ostasien gab es immerhin ein gemeinsames Kommunikationsmedium, die chinesische Schriftsprache; und der aus Indien stammende Buddhismus hatte sich bis in die Mongolei, nach Korea und Japan ausgebreitet. Doch davon abgesehen gab es nur wenig Spuren transregionaler Kooperation. Ohnehin war all das lange her, und im 19. Jahrhundert hatten sich die Kräfteverhältnisse längst dramatisch verschoben. Jetzt entschieden europäische Kolonialherren, welche Ideen, Technologien und Lebensweisen als modern gelten durften.
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