KafkaDavid Schalko (Regie), Daniel Kehlmann (Drehbuch)
270 Min.  24. 3. 2024

Immer wieder habe ich in der Vergangenheit für ein Kafka-Moratorium plädiert. Mal ein paar Jahre Ruhe, um dieses kleine, aber nicht uninteressante expressionistische Œuvre vor dem Ruhm seines Autors zu retten. Aber es hört ja niemand, und jetzt ist es dann auch zu spät. Unter der Federführung von Daniel Kehlmann (Drehbuch) und David Schalko (Drehbuch/Regie) haben ORF und ARD in ihrer sechsteiligen Miniserie Kafka (2024) für unser Zeitalter des Quality-TV das Bild des Autors als Genie ein für alle Mal festgeschrieben.

Denn Kafka ist in dieser Serie vor allem dieses: ein Genie. Aller literarischen Bedeutung (die ja Textarbeit voraussetzen würde) ist seine monumentale Bedeutsamkeit vorgeschaltet: Max Brod oder Stefan Zweig, die umtriebigen und auflagenstarken Schriftstellerfreunde, mögen «gut genug» schreiben für den tagesaktuellen Erfolg, aber wahrhafte Größe kommt allein ihm zu, Kafka, der zunächst gar nicht publiziert. Die Exposition der Serie, im Grunde die ganze erste Folge, dient im Wesentlichen dazu, diese Opposition zu etablieren. Allerdings folgt daraus kein irgendwie gearteter, womöglich handlungsleitender Konflikt, denn auch in der erzählten Welt beglaubigen alle a priori und unmissverständlich die unumstößliche Wahrheit von Kafkas Genialität: der getreue Brod, Zweig, Musil und – als einziges weiteres Genie, das auftreten darf – Rainer Maria Rilke, stimmig verkörpert von Lars Eidinger.

Solcher Beglaubigung dient nicht zuletzt auch Daniel Kehlmann selbst als Drehbuchautor der Serie. Der derzeit wohl international renommierteste Schriftsteller deutscher Sprache ist schließlich auch ein Profi im Erzählen von Genies. Von seinem Debüt Beerholms Vorstellung (1997) über Mahlers Zeit (1999) und Ich und Kaminsky (2003) bis hin zum Durchbruch mit Die Vermessung der Welt (2005) ist sein frühes Werk ganz dieser Aufgabe gewidmet. Insbesondere das Erfolgsrezept seines Superbestsellers um Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt kommt auch in Kafka zum Einsatz; eine Art doppelte Optik, die ein zwiefaches Identifikationsangebot für uns als Publikum bereithält. Zum einen kann man sich hier wie dort mit dem genialen Mann gegenüber dem Rest der Welt überlegen fühlen, zum anderen kann man sich aber auch wunderbar über die verschrobene Figur amüsieren, die dieser Mann, immer an der Grenze der Lebenstüchtigkeit, im Alltag macht.

So zieht die Serie beispielsweise maximalen Effekt aus Kafkas Marotte des Fletscherns – jeder Bissen muss nach der Theorie des Ernährungsreformers Horace Fletcher vierzigmal durchgekaut werden, um optimal verwertet zu werden. Ähnlich marottifizierend wirken die immergleiche Kleidung, die ihn zu einer Art Chaplin-Figur ohne Stöckchen macht, und insbesondere der fürchterliche Väter-der-Klamotte-Soundtrack, unterstützt von dräuendem Krähengekrächz (Kafka = Dohle) und originellen Einspielern wie Für Elise, mit denen die Szenen immer wieder unterlegt werden. (Wie man das besser machen kann, zeigt die kleine Indie-Serie Haus Kummerveldt um eine in den Naturalismus versetzte Droste-Hülshoff-artige Schriftstellerin; dort wird mit aktueller Pop-Musik gearbeitet.)

So stellt Kafka die Brillanz wie die Pedanterien seines Helden genüsslich aus, wobei dessen Unfähigkeit zu gesellschaftskonformer Kommunikation, beispielsweise seine wenig kontrollierten Äußerungen der Begeisterung (z.B. für jiddisches Theater) und Ablehnung (z.B. für Schnitzler und Werfel) zugleich auch wieder zum Ausweis seiner unkonventionellen Geniepersönlichkeit taugen. Und es ist die Hauptfunktion von Kafkas Frauen – Felice, Milena und Dora, nach denen drei der sechs Episoden benannt sind – diese Doppelrezeption in der Welt der Serie selbst zu verkörpern. Ohne selbst je unter Genieverdacht zu geraten, genießen sie ihre herausgehobene Position als Adressatinnen seiner genialen Briefe und Dialoge, während sie seiner Unbeholfenheit und am Ende seiner Krankheit zum Tode mit mütterlich-krankenschwesterlichem Verständnis und Geduld begegnen – sie lesen die Figur Kafka also in etwa so, wie auch wir es tun sollen. Zugleich erlaubt die tapsige Darstellung des Helden ihnen jederzeit, als selbstbestimmte, starke Frauen zu erscheinen, was auch nicht unwichtig ist für eine historische Serie, die in unseren Tagen reüssieren soll.

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