Das Schiff
Entgeistert stand ich vor dem Firmengebäude und wartete auf das gelbe Taxi. Man hatte mich gefeuert. Ich hätte gedacht, dass es erst in drei Tagen, also nach Ende meiner sechsmonatigen Probezeit so weit sein würde. Aber normalerweise hatte ich gegen halb sechs Feierabend, und jetzt versicherte mir die grelle Mittagssonne, die jedes Ding anstrahlte, dass es wirklich geschehen war.
Das Kündigungsgespräch war ruhig verlaufen. Größtenteils war es, auf mein Ansinnen hin, um einen Abfindungsscheck von tausend Euro gegangen, von dem sich der Chef aber beeilt hatte, mir zu sagen, er sei arbeitsrechtlich nicht verpflichtet, ihn mir auszustellen.
Ich blickte auf den Hügel gegenüber. Dort stand ein Neubau in der Form eines Schiffes. Es sah aus, als wollte es gerade in See stechen, mit auserwählten Passagieren und gehisster Flagge, von meiner Warte aus sah ich nur ein Zipfelchen davon. Es zitterte im Wind einer Flutwelle, die niemals kommen würde. Zu wissen, dass man gefeuert wird, ist etwas völlig anderes, als tatsächlich gefeuert zu werden.
Das Vorstellungsgespräch
Schon vor dem Termin stand ich vor dem Bürogebäude. Zwei Tage vorher hatte ich mich bereits einmal hierher aufgemacht, um sicherzugehen, dass ich es gleich finden würde. Ich wollte diesen Job unbedingt. Mich empfingen der Chef des Ramallah-Büros und mein zukünftiger direkter Vorgesetzter, der Leiter des Teams, in das man mich stecken würde. Obwohl wir alle Araber waren, fand das Gespräch auf Englisch statt. Schließlich mussten sie meine Kompetenz in der Sprache testen, die ich im täglichen Kontakt mit dem deutschen Mutterschiff verwenden würde.
Zwei volle Stunden verstrichen über rein technische Fragen. Die nächsten zwei Stunden ging es dann um meine Persönlichkeit, meine Stärken und Schwächen. Ob ich irgendwelche Spleens hätte, wollten sie wissen, und was meine Hobbys seien.
Ich wusste ja, was sie hören wollten. Meine Schwächen sollten möglichst gleichzeitig Stärken sein. Also sagte ich, meine allergrößte Schwäche sei mein Perfektionismus und ich müsse mir immerzu vergegenwärtigen, dass pure Perfektion einfach nicht zu erreichen sei. Ich behauptete, ich sei manchmal im Pyjama zur Uni gegangen, was mich in ihren Augen zu einer Art Steve Jobs machen sollte, denn der soll ja auch barfuß zur Uni gegangen sein. An manchen Unitagen, schob ich hinterher, sei ich – vielseitig und unvorhersehbar, wie ich nun einmal war – aber auch in Anzug und Krawatte aus dem Haus gegangen. Als der Teamleiter mich fragte, wieso ich die Regelstudienzeit um ein Jahr überschritten hatte, sagte ich, ich sei eben ein Mensch, der nach den Sternen greife, der aber auch die nötige Ausdauer dafür habe. Deswegen hätte ich noch einmal richtig Gas gegeben in meinem letzten Jahr und jedes einzelne Fach wiederholt, denn ich wollte nichts weniger als die volle Punktzahl.
Als ich dann in einem Nebensatz meine Lyrik und meine Kurzgeschichten erwähnte und die Auszeichnung meiner letzten Erzählung mit dem Universitätspreis, fragte der Chef, ob ich wohl vom britischen Autor V. S. Naipaul gehört hätte. Ich bejahte, auch wenn das offen gestanden gar nicht stimmte, und zum Beweis sagte ich: «Moment, der hat doch diesen Preis gewonnen, oder?» Denn irgendeinen Preis würde er schon gewonnen haben. Der Chef nickte. Ja, ja, doch, der Nobelpreis sei es gewesen.
Und der Nobelpreis brachte ihn dann auf folgende Frage: «Wenn du die Wahl hättest zwischen einem Buch von Naipaul und einem über Javascript, welches würdest du lesen?»
Oh, das komme ganz darauf an. Je nachdem, was ich gerade dringender bräuchte, sinnierte ich. In meinen Augen sei der Mensch nämlich ein Schiff mit zwei Segeln. Das eine sei die Wissenschaft, das andere die Kunst. Wenn ich das Gefühl bekäme, eines der Segel sei erschlafft und bremse meine Fahrt, müsse es eben wieder straff gezogen werden. Außerdem, erklärte ich, hielte ich nichts von der Trennung zwischen Computerbüchern und Literatur. Von jedem könne ich etwas über das andere lernen. Und wer weiß, womöglich helfe mir ja das eine oder andere poetische Bild bei der Lösung eines Programmierproblems, an dem ein anderer, weniger künstlerisch veranlagter ITler vielleicht scheitern würde.
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