Columbia University Press Juni 2024 35 $ 272 S.
Buchhandlung Walther König Sept. 2024 138,60 € 2236 S.
In einem seiner wenigen Spielfilmauftritte spielt Jacques Derrida sich selbst. Dem britischen Regisseur Ken McMullen war der Coup gelungen, den französischen Philosophen 1982 für seinen seltsam magisch-realistischen Spielfilm Ghost Dance zu engagieren. Derrida, damals auf dem Weg zu weltweitem Ruhm, genießt es sichtlich, in der Rolle des charismatischen, gutaussehenden Frontmanns des Poststrukturalismus aufzutreten. In einer Szene, die einer Sprechstunde nachempfunden ist, fragt ihn die junge Protagonistin des Films, ob er an Gespenster glaubt. Derrida, zur Zeit des Drehs bereits bekannt für seine mäandernden Gespensterkunden, sitzt als sein proper gepflegtes Image hinter dem Schreibtisch an der École Normale Supérieure und blickt in die Kamera. Mitten in der sich entspinnenden, ziemlich monologischen Diskussion über Geistererscheinungen klingelt plötzlich das Bürotelefon. Unklar, ob laut Drehbuch oder improvisiert, unterbricht Derrida seine laufenden Ausführungen und hebt den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung meldet sich eine unbekannte Stimme, und es kommt zu einem kurzen Austausch, bis Derrida auflegt und seiner verblüfften Besucherin triumphierend zuruft: «Voilà, le téléphone, c’est le fantôme!»
Denkwürdig ist diese Szene nicht wegen ihrer unverhohlenen Zurschaustellung der Top-Down-Didaktik der Dekonstruktion, wenn sie auch posthum veranschaulicht, wie der hohe Stil der Theorie auf lange Monologe mit oft obskuren Exegesen und scheinbar spontanen Epiphanien setzte. In Erinnerung bleibt McMullens télé-fantôme vielmehr aufgrund seiner Unfähigkeit, den Personenkult zu dekonstruieren, der sich in den frühen 1980er Jahren um Derrida und andere, insbesondere männliche Denker gebildet hatte. Was diese manchmal in ihren Schriften erreichten, eine performative Brechung des Selbst und seiner Stimme, kriegen sie persönlich und im Film nicht hin. Nachkommende Generationen wollten solche Denker mit aufwendigeren Dokumentarfilmen porträtieren, doch wie die Versuche von Amy Ziering Kofman (Derrida, 2002) oder Astra Taylor (Žižek!, 2005) zeigen, scheiterten auch sie daran, Charisma und Lehre zu trennen.
Eine Geschichte kann nicht von zwei Personen handeln
In einem anderen genreübergreifenden Film, der nur wenige Jahre zuvor entstanden ist, treffen wir auf einen deutschen Filmemacher, der Derridas Begeisterung für Semiotik und Medien ebenso teilt wie McMullens Interesse, Theorie auf die Leinwand zu bringen. In der Eröffnungsszene seines wenig bekannten Meisterwerks Zwischen zwei Kriegen aus dem Jahr 1978 führt Harun Farocki eine seltsame Einheit aus Theoretiker und Regisseur vor, ohne eine der beiden Figuren wirklich zu erklären oder zu erläutern, warum wir sie brauchen. Wie Derrida erscheint Farocki als Denker am Schreibtisch; aber anders als der berühmte Professor sieht man ihn nur von hinten, wie er über den Tisch gebeugt Papierfetzen und Notizen ordnet, während sein Voiceover laut darüber nachdenkt, was für ein Film es sein könnte, den wir gleich zu sehen bekommen.
Zugegeben, hier handelt es sich um eine Art der Selbstinszenierung, über die Farocki wahrscheinlich etwas mehr Kontrolle hatte als Derrida in Ghost Dance (obwohl völlig klar ist, dass der Starphilosoph peinlich genau darauf achtete, nur das zu spielen, was zu seiner Marke passte). Dennoch kommt die Betrachterin kaum umhin, eine Identität von Regisseur und Theoretiker zu unterstellen: Der Regisseur Farocki und die «Figur» am Schreibtisch, die wie Farocki aussieht und als Regisseur über den Film spricht, müssten wohl ein und dieselbe Person sein. Doch anstelle von Derridas selbstbewusst charismatischem Auftreten traut Farocki sich und uns kein Gegenübertreten zu. Statt eines einnehmenden Selbstgesprächs konfrontieren uns sein sprödes Voiceover und ein Schreibtisch voller Notizen mit einem vielgesichtigen, unentschiedenen «Farocki», der sich fragt, welchen Weg er mit dem Film einschlagen, welches «Ich» er figurieren soll.
Es verwundert nicht, dass die Medienwissenschaftlerin und Farocki-Expertin Nora Alter genau diese Eingangsepisode aus Zwischen zwei Kriegen zu einer der Schlüsselszenen ihres umfangreichen neuen Buchs über Farockis Forms of Intelligence macht. «These first few minutes», schreibt Alter, «foreshadow the active role Farocki as auteur plays in the film. His voice and commentary guide the viewer and provide narrative coherence. His physical presence as a filmmaker at different intervals in the production anchors the disembodied voice-over and self-reflexively stresses the difficulty of making a film and the extensive labor filmmaking involves. Farocki, here cast as the character ‹Farocki the filmmaker›, introduces the problem of representing the self. As he looks at his reflection in a mirror, he observes, ‹A story can’t be about two people; a story can’t be about two worlds; a story can’t be about two classes since two is the totality.›»
Diese Vielzahl gleichzeitig sichtbarer Facetten lässt sich schriftlich nur schwer vermitteln, und so bezeichnet Alter Zwischen zwei Kriegen zu Recht als einen von Farockis «ambitioniertesten» Filmen. Dass Farocki damit das zentrale «Problem der Selbstrepräsentation» einführt, wie Alter geradezu beiläufig anmerkt, trifft nicht nur aufgrund der Kaskade von Erzählungen, Bildern, Ideen und Worten zu, die Zwischen zwei Kriegen zu einer Studie über deutschen Faschismus, Kapitalismus, industrielle Produktion und die Erzählbarkeit von Liebe machen. Auch Farockis Ambition rechtfertigt es, den Film als eine «form of intelligence» zu betrachten, welche die Arbeit der kritischen Theorie nach Adorno, Benjamin und Brecht fortsetzen und gleichzeitig neue Ideen von Arendt, Anders, Foucault, Flusser und Kittler in sich aufnehmen will. Nur dass es Farocki, im starken Gegensatz zu den Poststrukturalisten, nie daran gelegen war, sein Image, sein Selbst vermeintlichen Gespenstern der Selbstrepräsentation zu überlassen.