Sea Level. A HistoryWilko Graf von Hardenberg
The University of Chicago Press Aug. 202427,50 $ 200 S.

Miami ist die einzige Großstadt in den Vereinigten Staaten, die von einer Frau gegründet wurde. Julia Tuttle war 1891 von Cleveland, Ohio nach Florida gekommen und hatte große Mengen Land an der Mündung des Miami River gekauft. Die Bäume an der Biscayne Bay wuchsen dicht und üppig. Die Lokalzeitung Tropical Sun hielt die felsige Anhöhe im Süden des Staates für «einen der besten Bauplätze in Florida». Tuttle legte eine Orangenplantage an. The Great Freeze, der kalte Winter der Jahre 1894/95, zerstörte einen Großteil der Zitrusfrüchte im Norden des Staates. Tuttles Geschäft im Süden florierte. Sie überzeugte den Öl- und Eisenbahnmagnaten Henry Flagler, ihr Land an die Florida East Coast Railway anzuschließen. Am 28. Juli 1896 erklärte sich die Siedlung auf ihrem Land zur Stadt, und Julia Tuttle wurde zur «Mutter von Miami».

Wenig später begann Miami im Meer zu versinken. Seit 1900 ist der Meeresspiegel dort um etwa einen Viertelmeter angestiegen, nachdem er vorher 2000 Jahre lang fast unverändert geblieben war. In fünf Jahren wird er fast einen halben, in 75 Jahren womöglich zwei Meter höher stehen als bei Stadtgründung. Die Stadt hat begonnen, Straßen zu erhöhen und Pumpen zu installieren, vor wenigen Jahren noch schien der Bauboom in Miami ungebrochen. Doch die Reichen ziehen ins Landesinnere und in höhere Lagen, während um sie herum andere, Ärmere, den Druck von Bauunternehmen zu spüren bekommen, die versuchen, sie aus den höhergelegenen Gegenden zu vertreiben, in die man sie abgeschoben hatte, als sich die Projektentwickler noch um das Bauland am Wasser rissen.

Bangladesch hat kein Hinterland. Das tiefliegende Deltaland, in dem fast ein Drittel der Bevölkerung an der Küste lebt, ist Stürmen, Flutkatastrophen und dem ansteigenden Meeresspiegel nahezu schutzlos ausgeliefert. Tektonische Bewegungen führen gleichzeitig dazu, dass der Boden absinkt. Der Meeresspiegel steigt in Bangladesch deshalb zwei- bis viermal so schnell an wie in den Niederlanden, die zu großen Teilen unterhalb des Meeresspiegels liegen und 1989 das erste internationale Gipfeltreffen zum Klimawandel einberufen haben. Wenn der Meeresspiegel in Bangladesch um 45 Zentimeter steigt, werden über 15.000 Quadratkilometer Land dauerhaft verloren gehen. Es gibt Prognosen, die davon ausgehen, dass es in etwa 25 Jahren so weit sein wird. Sollte der Meeresspiegel um das Doppelte ansteigen, würde mehr als ein Fünftel des Landes unter Wasser stehen. Betroffen wären davon bis zu 15 Millionen Leute.

Prognosen können danebenliegen. Doch der Landschwund hat längst begonnen: 1970 schwemmte der Bhola-Zyklon, der stärkste jemals verzeichnete Wirbelsturm, so viel Flussschlick in den Golf von Bengalen, dass eine Insel entstand, die je nach Gezeiten und Niederschlag zwischen zwei und zwölf Quadratkilometern groß sein konnte. Die Landmasse wurde nie besiedelt, seerechtlich aber offiziell als Insel anerkannt, und das neugegründete Bangladesch beanspruchte sie ebenso wie Indien als Teil seines Hoheitsgebiets. Bevor ein internationales Gericht den Fall schlichten konnte, verschwand die Insel 2010 im Meer. Auch die indische Insel Lohachara ging 2006 unter. Lohachara war bewohnt, sechstausend Leute mussten aufs Festland umsiedeln.

Die besten Texte in Ihrem Postfach
Unser kostenloser Newsletter

Newsletter-Anmeldung

Suche nach Standards

Ein Problem ist der Meeresspiegel nicht erst, seit er ansteigt, sondern schon immer. In diesem Fall bedeutet das: seit 1556, als in Amsterdam die Meereshöhe zum ersten Mal formell vermessen wurde. Bis dahin gab es Ebbe und Flut, nun gab es einen Wasserstand, bei dem sich die Schleusen zum neuen Hafengebiet schlossen, damit die Stadt nicht überflutet wurde, und es gab die Frage, wie man ihn maß. Wenn Scafell Pike, der höchste Gipfel Englands, 978 Meter und mein Schreibtisch in London 32 Meter plus 2 Stockwerke über dem Meer liegen, bleibt ja die Frage danach, wie hoch das Meer liegt. Welche Höhe hat die Null – und ist sie überall gleich? Den Antworten, die Wissenschaftler:innen in den letzten drei Jahrhunderten darauf gefunden haben, geht Wilko von Hardenberg in Sea Level. A History nach.

Sie sind nicht berechtigt, die Seite von dieser IP-Adresse aus zu besuchen.
Vous n’êtes pas autorisé.e à consulter le site depuis cette adresse IP.