PandoEnis Maci / Pascal Richmann
SuhrkampOkt. 2024 24 € 206 S.
Natur. Ein Science-Fiction-RomanPhilipp Simon
Korbinian VerlagOkt. 2024 20 € 133 S.
Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen. Eine ungeordnete Kulturgeschichte der Natur. EssaysBettina Balàka
Haymon VerlagAug. 2024 22,90 € 216 S.

Im Sommer 1541 blickt der italienische Humanist Jacopo Bonfadio auf die Renaissancegärten am Gardasee und erkennt in ihnen etwas, das er zuvor so noch nicht gesehen hat, nämlich: «dass die Natur zusammen mit der Kunst derselben wesensgleich geworden und aus beiden eine dritte Natur entstanden ist.»

Die dritte Natur, erklärt die österreichische Schriftstellerin Bettina Balàka in ihrem Essayband Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen, ist das, was «durch die Verbindung mit und Überhöhung durch Kunst entsteht, also die Gartenkunst, Garten- und Landschaftsarchitektur», in Abgrenzung zur zweiten Natur, den landwirtschaftlich genutzten Flächen, und zur ersten, der vom Menschen unberührten Wildnis. Wir lernen: Je stärker der Mensch in die Natur eingreift, desto mehr verwandelt sie sich in Kunst. So weit, so gut. Allerdings erinnert die harmonische Komposition italienischer Renaissancegärten auch an eine weitaus beunruhigendere Vision: Jenen «Garten oder Park des Friedens und der Schönheit», den Philip K. Dick 1977 auf einer Science-Fiction-Konferenz in Metz vor konsterniertem Publikum heraufbeschwört, als «dritte alternative Gegenwart», von der er behauptet, sie sei Teil einer vielschichtigen Computersimulation, in der wir alle leben. Ok, Dick stand zu diesem Zeitpunkt vermutlich unter dem Einfluss halluzinogener Drogen. Nichtsdestotrotz kann man sich fragen: Wie «natürlich» ist eigentlich das, was wir als «Natur» erleben?

Ein einziger, belaubter Barcode

Das widersprüchliche und toxische Verhältnis von Mensch und Natur nehmen nicht nur Balàkas Essays, sondern auch, auf sehr unterschiedliche Weise, zwei aktuelle deutschsprachige Debütromane unter die Lupe. Zum einen Pando, der erste gemeinsam verfasste Roman von Enis Maci und Pascal Richmann, die sich bislang mit Essays und Theaterstücken einen Namen gemacht haben. Zum anderen Natur, das literarische Debüt des Künstlers Philipp Simon.

Der Park – als etwas Angelegtes und zugleich mit einem Anschein von Natürlichkeit Versehenes – ist ein verbindendes Motiv. In Pando etwa gibt es eine Szene, in der ein Hund auf dem Dortmunder Deusenberg in der Erde wühlt. Wenn er nur tief genug gräbt, erfahren wir, wird er auf eine Plastikfolie stoßen, die das Gras, die Bäume und Pflanzen vor dem vergifteten Untergrund bewahrt. «Diese Landschaft ist vollständig verschweißt», muss die Erzählfigur feststellen.

Die unberührte Natur hingegen verkörpert der titelgebende Sehnsuchtsort Pando, eine Klonkolonie Amerikanischer Zitterpappeln in Utah, deren Baumstämme über Rhizome miteinander verbunden sind: «Schmale, weiße Stämme und ihre Schatten. Wie ein einziger, belaubter Barcode.» Hans und Reja, die beiden Erzählfiguren des Romans, lesen über diesen Wald, reden und träumen von ihm. Bevor sie ihn jedoch erreichen, nimmt uns das Autorenduo mit auf einen wilden Ritt durch Raum und Zeit: Es geht vom Erzgebirge nach Albanien, mit Dürer nach Würzburg, zu den Konquistadoren nach Mexiko, zu den Riesenasseln am Tiefseeboden, und tiefer noch, zu den «von Erdöl gespeisten Asphaltvulkanen», und von dort, folgerichtig, zu «Royal Dutch Shell, Standard Oil und California Sinclair». Es geht nach Paris während der Corona-Pandemie, zu den gestoppten Produktions- und Lieferketten, die erst in ihrem Ausfall plötzlich überdeutlich sichtbar werden, nach Bolivien zu den Bergwerken, die das gesamte Land unterhöhlen, nach New Orleans zum Hurricane Katrina, nach Memmingen ins Mittelalter, wo sich häretische Bauern gegen die Leibeigenschaft wehren. So gräbt sich der Text in die tiefsten Schichten von Entdeckungen und Unentdecktem, Eroberung und Ausbeutung, um immer wieder zurück zu Hans’ und Rejas Alltag zu springen, der hauptsächlich aus dem Ansammeln von Vielfliegermeilen zu bestehen scheint.

Es ist ein Wimmelbild von einem Buch, ein Kaleidoskop flugs hingeknallter Informationssplitter, in dem die meisten Leser:innen, ohne nebenher zu googeln, schnell verloren gehen dürften. Manches wird später wieder aufgegriffen, bildet Stränge, die man bei aufmerksamer Lektüre ergreifen kann, anderes wirkt eher wie ein schnelles, wütendes Copy & Paste von Wikipedia-Einträgen. In vielen Szenen gelingt Maci/Richmann der Rundumschlag meisterhaft. Sei es in düster-poetischen Miniaturen einer permanent überformten, hybridisierten Gegenwart («Abseits – zwei Elektroroller, ineinander verkeilt, Tiere, die sich zum Sterben zurückgezogen haben.») oder pointierten Nachzeichnungen von Kapital- und Warenströmen, in denen die Natur immer wieder in ihrer schillernden Wesenhaftigkeit zwischen Ressource, Bedrohung und Quelle der Inspiration aufscheint: Vom lithiumreichen Salzsee in Bolivien verfolgen wir den Weg des Rohstoffs nach China, wo Zwangsarbeiter ihn in Akkus verbauen, die schließlich an einem weiteren Salzsee in Utah landen, in den SUVs, mit denen mormonische Familienväter ihre Kinderschar durch die Gegend kutschieren.

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Wo der rauschhafte Sog der Erzählung Natur streift, wird sie sogleich als vielfach verformt, überlagert, vermittelt entlarvt, als blasser Abklatsch oder bloße Fantasie. Mal geschieht dies ironisch distanziert: «Im Garten stehen Rejas Freunde mit verquollenen Augen auf dem Rollrasen und rauchen, während der Hund von Jeans Onkel, ein durch Generationen profitabler Inzucht entstellter Pitbull Terrier, an seinem Gummihuhn nagt.» Mal biografisch gestützt, wenn Hans in einem Seehund im kalifornischen Monterey jenen Heuler wiederzuerkennen glaubt, mit dem er sich als Kind verbunden fühlte: «Hans nimmt sich vor, ihn sein Leben lang zu begleiten. Er wird seine Flosse greifen und gemeinsam werden sie losschwimmen, ins Offene, weit hinaus, dorthin, wo der Westen endet.» 25 Jahre später jedoch, als er mit seinen Freunden im Restaurant am Pier sitzt, isst er einfach weiter seinen Garnelencocktail.