Emilia PérezJacques Audiard
130 Min.  28. 11. 2024

Manche Texte baut man von unten auf, mit den kleinsten Argumenten, aber wenn man gehört werden will, muss man es manchmal anders angehen und mitten ins Zentrum schlagen. Ich will dem europäischen genderbinären Kino also direkt ins Gesicht sagen, dass es aufhören soll, unsere Transkörper für seine Vergnügungsparks zu benutzen. Für Jacques Audiards jüngsten Film Emilia Pérez schwenken viele schon mit den Oscars. Ich bin gekommen, die Oscars niederzubrennen und Emilia, alle Emilias von Mexiko, vor der Gewalt des genderbinären Blicks zu retten. Zu Audiard und seinem Film fällt mir ein alter Punkspruch ein, den manche Frauen sich früher über ihren Schritt tätowieren ließen: «Keep off the grass.» Wenn das Kino anfängt, das Leben (und besonders das Sterben) von Menschen erzählerisch auszuweiden, die bis jetzt keine andere Biografie besaßen als die psychiatrische und keine Bilder außerhalb der Pornografie oder der Forensik, dann wird die Leinwand zum popkulturellen Gerichtshof. Unter dem Vorwand der guten Unterhaltung werden Geschichten verallgemeinert und Morde relativiert. Aber es gibt ein Recht auf Raserei, eine Pflicht zur Trauer und vor allem ein Bedürfnis nach Reparation.

Seiner eigenen Beschreibung nach erzählt Audiards Film die Geschichte des kaltblütigen mexikanischen Drogenbarons «Manitas», der sein Gender wechseln und als «Emilia» seinem kriminellen Schicksal entkommen will. Emilia Pérez schmückt sich zwar mit allen Gadgets des Next-Generation-Movie, es ist voller Music-Hall-Nummern, vibigen Bildlandschaften und erzählerischen Tricks. Wenn man aber ein wenig in die Geschichte der Darstellung von Transmenschen schaut, dann wird der Film zu nichts weiter als einem Palimpsest kolonialer und binärer Bedeutungssysteme; zu einer Ruine, so erwartbar wie anachronistisch. Indem er sich in genau die Konventionen des hegemonischen Erzählkanons fügt, gegen die trans und rassifizierte Menschen aufbegehrt haben, setzt Emilia Pérez die psychopathologische Vision einer Gender-Transition fort, die auf vier Tropen beruht: Kriminalisierung, ethnografische Exotisierung, medizinisch-chirurgisches Narrativ, Mord. Letzteres ist kein Spoiler. Alle normativen Filme enden damit, dass der/die trans Protagonist:in stirbt.

1. Kriminalisierung

Trotz der ganzen Musik steht das Drehbuch von Emilia Pérez in einer Ahnenreihe, die von Hitchcocks Psycho (1960) über Brian de Palmas Dressed to Kill (1980) bis zu Jonathan Demmes Das Schweigen der Lämmer (1991) reicht. In letzterem Film wird – in bester Täter-Opfer-Umkehr – eine Transfrau als rachsüchtiger Killer und frustrierter, männlicher Psychopath dargestellt (ich betone das Gender, weil alle diese Filme darauf bestehen, die Transfrau fälschlich als «Mann» darzustellen). Der Unterschied bei Audiard ist, dass «Manitas» nicht Rache sucht, sondern Erlösung: Anstatt zu töten, um eine Frau zu werden, will der Killer in Audiards Film eine Frau werden, um «seine» Killer-Vergangenheit hinter sich lassen zu können. Doch die Überschreitung der Race- und Gendergrenzen führt für Emilia in den Tod. In diesem Narrativ der genderbasierten Gewaltenteilung kann die Transition nur ein Weg der Sühne von Schuld durch Opfer sein: vom Mörder zur Heiligen, von todbringender Männlichkeit zu misshandelter Weiblichkeit. Aus diesem Rechenspiel von Schuld und Verbrechen kommen wir nicht mehr raus. Als «Emilia» wird der Superschurke zu einer Art mexikanischen trans Mutter Teresa, gräbt die Leichen der Kartellopfer aus und bringt sie zurück zu ihren Familien. Warum genau braucht Audiard für diese Geschichte eine Emilia Pérez? Kulturell gesehen verleiht die Figur dem Film ein doppeltes körperpolitisches Kapital: die zweifach phobische Darstellung mexikanischer Männer als brutaler Mörder und mexikanischer Transfrauen als Betrüger, die sich in ihrer Frauwerdung von früher Schuld reinzuwaschen versuchen. Was natürlich seinen doppelten Preis hat – erst zahlen sie für ihre Operation, dann mit ihrem Leben. Aber hey, lasst uns das alles als Musical aufführen! Der Süden und seine Transfrauen are there for the party, der Norden und seine binären Männer sollen schließlich ein Surplus an leichtem Vergnügen an ihnen haben.

Die besten Texte in Ihrem Postfach
Unser kostenloser Newsletter

Newsletter-Anmeldung

2. Ethnographische Exotisierung

Als filmische und ins 21. Jahrhundert versetzte Version der Freakshow und des Kolonialmuseums muss Emilia Pérez Transpersonen notwendig als kulturfremd und andersartig porträtieren, als radikal Andere, die unsere Sprache nicht sprechen. Audiard, selbst Franzose, treibt dieses Othering auf die Spitze, indem er den Film in Mexiko und in mexikanischem Spanisch spielen lässt, obwohl er ganz und gar in den Studios von Bry-Sur-Marne bei Paris und mit Schauspielerinnen gedreht wurde, die kein akzentechtes mexikanisches Spanisch sprechen. Die Schauspielerin Karla Sofía Gascón ist Spanierin (selbst wenn sie Jahre in Mexiko gelebt hat), Zoë Saldaña ist in Queens, New York, geboren und aufgewachsen, und Selena Gómez ist dermaßen yanki, dass sie das Wort pinche («fuck») nicht aussprechen kann, ohne sich mit dem CHE zu verheddern. Der Film erinnert ein bisschen an diese mexikanischen Restaurants in Paris, in denen europäische Betreiber undokumentierte Einwander:innen aus Venezuela anheuern, um in der Happy Hour in Mexiko-T-Shirts «Santa Muerte»-Papierservietten Made in China und Margaritas mit belgischem Tequila zu verteilen, bevor es ein spicy Hauptgericht nach den Vorgaben der französischen Filmförderungsanstalt gibt – darüber liegt ein Track mit Latin Rap, den die weißen Franzosen Camille und Clément Ducol komponiert haben. Ein wildes Amalgam ambivalenter Codes und Zeichen, aufgeladen mit Latinx-feindlichen Exotismus, das am Ende doch nur eine rassistisch und transphob unterlegte, melodramatisch-binäre Ordnung bestätigt. Es wird viel getanzt und gesungen in diesem Film, die koloniale und pathologisierende Sichtweise auf Gendertransition und übrigens auch die mexikanische Kultur wird dadurch aber nur noch verstärkt.