Es sind schlechte Zeiten für das Völkerrecht in Deutschland. Am 10. Februar erklärte der CDU- Kanzlerkandidat Friedrich Merz in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen, der israelische Regierungschef Netanyahu sei in Deutschland willkommen und man werde Wege finden, den Haftbefehl zu ignorieren, den der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) gegen ihn ausgestellt hat. Am 14. Februar sagte der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz im Podcast von Tilo Jung, mit den Folgen eines eventuellen Urteils des Internationalen Gerichtshofs (IGH), wonach Israel einen Genozid begehe, befasse er sich nicht, denn der Vorwurf sei absurd und für einen Genozid gebe es keine Anhaltspunkte.

Kurz zuvor, am 11. Februar, hatte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, die Freie Universität aufgefordert, einen dort angekündigten Vortrag der UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrecht in den besetzten palästinensischen Gebieten, Francesca Albanese, abzusagen, denn «unsere Hochschulen sind Orte der Lehre und der Forschung, aber auch der Wertevermittlung und des gegenseitigen Respekts». Die Unileitung leistete Folge; der Vortrag fand schließlich an einer privaten Veranstaltungsstätte in Kreuzberg statt, unter sorgfältiger polizeilicher Beobachtung. Selbst ein bloßes Streaming des Vortrags in einen Hörsaal der Freien Universität ging nicht ohne Polizeieinsatz vonstatten.

Binnen kürzester Zeit zeigte die politische Führung Deutschlands also gleich drei wichtigen internationalen Institutionen keinen «gegenseitigen Respekt», sondern den sprichwörtlichen Mittelfinger – dem Internationalen Strafgerichtshof, dem Internationalen Gerichtshof, und dem UN-Menschenrechtsrat, der Albanese eingesetzt hat. Ein ausführlich begründeter Haftbefehl des IStGH, ein mittlerweile Tausende Seiten umfassendes Verfahren vor dem IGH einschließlich drei einstweiliger Anordnungen des Gerichts, ausführliche und sorgfältig belegte Berichte der UN-Sonderbeauftragten – all das zählt weniger als die persönliche Einschätzung des Bundeskanzlers und ein offener Brief der Werteinitiative, der eine Handvoll problematischer Social-Media-Posts von Albanese aus den vergangenen zwölf Jahren zusammengetragen hat. Ein per Haftbefehl gesuchter mutmaßlicher Kriegsverbrecher soll in Deutschland willkommen sein, nicht dagegen eine UN-Sonderbeauftragte, die dessen mutmaßliche Verbrechen dokumentieren und zu ihrer Unterbindung beitragen soll.

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Unter Missachtung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit unterbindet der Staat im Fall Albanese Veranstaltungen zum Völkerrecht, ja überhaupt eine Auseinandersetzung mit ihm. Mit Erfolg, wie es scheint: Albanese muss Hasstiraden über sich ergehen und sich als Antisemitin beschimpfen lassen, während ihre völkerrechtlichen Analysen in Presse und allgemeiner Wahrnehmung praktisch nicht vorkommen. Ein ähnliches Schicksal hatten die Entscheidungen von IGH und IStGH wie auch die völkerrechtlichen Befunde und Argumente von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International: Wenn über sie überhaupt berichtet wurde, dann eigentlich nur mit der Frage, ob ihre Ergebnisse antisemitisch seien, nicht aber, ob sie plausibel begründet sind.