Sonny, das Wiesel, hatte jedes Mal etwas anzubieten, einen Toaster in Originalverpackung, einen Satz Sportfelgen, oder einen schweren Kunstkatalog, der noch eingeschweißt war. Halber Preis, drunter ging er nie, meistens jedenfalls. Sonny trug immer Anzug und Krawatte, hatte halblanges, schon schütteres Haar (obwohl er nicht viel älter als dreißig sein konnte), dazu ein dünnes Oberlippenbärtchen. Plötzlich tauchte er spätabends, die Abrechnung war schon gemacht, im Foyer der Konzerthalle in Charlottenburg auf, wo ich damals hinter dem Tresen arbeitete, sah sich um, wen er zutexten konnte, und machte sich an die Arbeit. Es hieß, dass er in seiner Wohnung (wo die auch sein mochte) eine Sammlung von Filmkopien im 16mm-Format aufbewahrte, zu welchem Zweck, wusste keiner.

Genau wie ich spielte Sonny nie mit, stieg nie in die Runde an einem der Bistrotische im Foyer ein, wo nach Betriebsschluss meist (sehr deutsch) Schieberamsch gespielt wurde, fünf Pfennig der Punkt, was sich schnell zu hohen Summen aufmultiplizierte, zweihundert oder dreihundert Mark, wenn jemand Jungfrau geblieben war – unterm gackernden Gelächter von Tom Wegener, der ein enormes Gedächtnis besaß und nur selten hinten lag. In den späten sechziger Jahren hatte er als Schlagzeuger in einer Band gespielt, die sogar von John Peel in seiner Sendung empfohlen worden war, bevor Punk dem allen ein Ende machte. Dass Tom nicht trank, weder kiffte noch kokste, war wahrscheinlich ein Vorteil für ihn, obwohl ich mir da nicht sicher bin, weil die anderen Zocker, die sich nach jedem Konzert im Foyer einfanden – die üblichen Rumhänger, ein paar Aufbauhelfer, die beiden Geschäftsführer der Halle –, auch nicht tranken, während sie spielten, höchstens mal ein Bier oder einen Cognac.

Für mich war das nichts, ich verspürte kein Kribbeln beim Gedanken an einen Gewinn noch hatte ich Angst davor, zu verlieren, den ganzen Lohn eines Abends möglicherweise, plus der Prozente vom Getränkeumsatz (zweitausend Dosen Bier beim Konzert von Motörhead, die noch nicht so bekannt waren, aber schon ihre Fans hatten). Ich fand’s faszinierend genug, am Rand zu sitzen und zuzuschauen, zu beobachten, was in den Spielern am Tisch vorging, zu welchen Risiken sie bereit waren oder wie sie reagierten, wenn die anderen auf sie reingefallen waren und zahlen mussten. Stundenlang (gar nicht selten, dass bis in den frühen Morgen gespielt wurde) konnte ich dabei sein, ohne dass es mir eine Sekunde langweilig wurde. Einmal, das war bei einer Pokerrunde, hatte einer kein Geld mehr und weil niemand ihm noch etwas leihen wollte, schlug er vor, nach Hause zu fahren und seinen neuen Verstärker als Einsatz zu holen, die anderen stimmten zu und alle legten die Karten mit ihrer Farbenseite auf den Tisch. Nachdem er zurückgekehrt war, wurde aufgedeckt und er gewann. «Doppelt oder quitt» schlug einer der beiden Geschäftsführer vor und hielt ihm den Kartenstapel verführerisch vors Gesicht, nach ein bisschen Bedenkzeit lehnte er ab.

Außer Sonny kam Bozo regelmäßig, um sich einen Becher Kaffee zu holen, Kaffee gab es immer. Zu verkaufen hatte er nichts, nur seine Geschichten. Bozo, der schon älter war und aus Jugoslawien stammte (als hätte man sich dafür interessiert, woher genau) nuschelte, man verstand ihn und seine eigenwillige Grammatik manchmal schwer, nachzufragen hatte aber keinen Sinn, weil er in einem fort redete, was, je nach Stimmung, anstrengend sein konnte. Und er fing stets unvermittelt an, wenn er jemanden gefunden hatte, der ihm nicht den Rücken zudrehte, Mercedes-Limousinen in den Libanon zu überführen (ich war der einzige, den sie in Sofia nicht verhaftet haben, Interpol, glaubst du das?), Lieferwagen nach Kabul, als man noch über den Iran konnte (oder so), Karatschi die dreckigste Stadt der Welt. Niemand wusste, wovon Bozo lebte, ob er einen Job hatte oder suchte, woher er gerade kam, wohin er ging. Im Grunde waren Sonny und Bozo Konkurrenten, immer auf der Suche nach jemandem, den sie ansprechen konnten, zum letzten Mal habe ich Bozo vor zwanzig Jahren gesehen (oder noch länger her), nachts, verloren an der Tankstelle unter den Yorckbrücken, Kaffee trinkend, Bozo, sagte ich, was für ein Zufall, wo geht’s hin? Er wolle noch ins ‹Ex’n’Pop›, sagte er, aber nicht zu früh, und verschwand ohne weiteres Wort.

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Die Tankstelle gibt es nicht mehr, auch nicht die Baracken oben auf dem Bahngelände, wo man alles bekam, sehr günstig bekam, was man für ein Auto brauchte, innerhalb von Stunden eine neue Lackierung (der Unfall war nicht meine Schuld), Reifen, die es für den TÜV noch taten, bestimmte Ersatzteile (Verhandlungssache). Orte, tausendundein Orte, die nicht mehr existieren, als seien es Brandmale gewesen, die endlich beseitigt werden konnten. Ausgelöscht, erledigt. Ich erinnere mich an Flyer, die man Mitte der neunziger Jahre haufenweise in Cafés in Williamsburg fand und von einer Gruppe gezeichnet waren, die sich Psychogeographic Committee nannte (oder so ähnlich), und auf denen gefordert wurde, keinen Park am East River anzulegen, sondern eine Müllverbrennungsanlage zu errichten (wie es die Stadtverwaltung ursprünglich auch geplant hatte), natürlich vergebens, willst Du wirklich neben einer Müllverbrennungsanlage wohnen?