In einem berühmten Interview erklärte US-Präsident Richard Nixon 1972, das Wachstum der Inflationsrate habe sich verlangsamt. Dies, so konstatierte der Mathematiker Hugo Rossi später trocken, sei das erste Mal gewesen, dass ein amtierender US-Präsident sich auf die dritte Ableitung berufen habe, um für seine Wiederwahl zu werben. Nixons Aussage ist ein Lehrbeispiel dessen, was man in den USA «moving the goalposts» nennt: Das Ziel einer Maßnahme wird nachträglich so umdefiniert, dass sie in jedem Fall als Erfolg gewertet werden kann. Zwar steigen die Preise weiter, sie steigen sogar schneller, aber immerhin ist die Beschleunigung ihres Anstiegs nicht mehr so stark, was ja schonmal ein Fortschritt sei.

Die Latte nachträglich so niedrig zu legen, dass man sie auf jeden Fall überquert hat, gehört zu den Standardübungen politischer Rhetorik. In vollendeter Form lässt sie sich momentan in der Debatte um die deutsche Schuldenbremse beobachten. Sollte diese dem Staat ursprünglich eine größere Handlungsfähigkeit garantieren, so erklären ihre Verteidiger es mittlerweile zum Erfolg, wenn sie die Handlungsfähigkeit des Staates nicht zusätzlich einschränkt.

«Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen Schuldenbremse und öffentlichen Investitionen», mit diesem bemerkenswerten Satz begann kürzlich die Pressemitteilung der Friedrich-Naumann Stiftung zu einer Studie1, die der Freiburger Ökonom, Lindner-Berater und frühere Wirtschaftsweise Lars Feld in ihrem Auftrag erstellt hatte. Ein Satz, der insofern überrascht, als die Entwarnungswendung, es gebe «keinen Zusammenhang», gewöhnlich für Dinge verwendet wird, deren Eintritt man tunlichst vermeiden möchte: «Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Kaffee und Kopfwehattacken» berichtete etwa der Zürcher Tagesanzeiger im März 2024. Investitionen hingegen werden überall dringlich vermisst.

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