Meine Studierenden wurden vergangene Woche zum dritten Mal auf brutale Weise von der Berliner Polizei aus einem Gebäude geschleppt, weil sie es zum Ort ihres Protestes erkoren hatten. Ihr Protest richtete sich in erster Linie gegen die flächendeckende Bombardierung der Zivilbevölkerung in Gaza, auf deren Einordnung als Genozid sie mit Recht insistieren; daneben aber auch gegen die Beschränkung ihrer Rechte durch ein neues Ordnungsrecht an Berliner Hochschulen. Besetzt wurde diesmal das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität, das die Studierenden in Anlehnung an eines der größten Lager für Geflüchtete in Gaza in Jabalia Institute umbenannten. Nach Paragraf 4 des Berliner Hochschulgesetzes tragen Universitäten auch dann «besondere Verantwortung für die Entwicklung von Lösungsansätzen für gesellschaftliche Fragestellungen und die Entwicklung der Gesellschaft», wenn diese Aufgabe nicht in Form konventioneller akademischer Lehre erfüllt wird. Als die Studierenden gewaltsam aus dem Gebäude entfernt wurden, wurde ihnen die Möglichkeit genommen, an einer solchen Entwicklung teilzuhaben.

Die Räumung fiel auf den 75. Jubiläumstag des Grundgesetzes, dessen Feierlichkeiten einige der Polizeibeamten, die die Räumung vollzogen, noch am Morgen abgesichert hatten. Sie fiel in eine Woche, in der der Chefankläger des internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen die drei Hamas-Anführer Yahya Sinwar, Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri und Ismail Haniyeh sowie gegen Benjamin Netanjahu und den israelischen Außenminister Yoav Gallant beantragte. Eine Woche, in der sich die Debatte über israelische Kriegsverbrechen in Gaza und über die Proteste dagegen in Deutschland ein wenig zu drehen schien und in der verschiedene Medien die Notwendigkeit von Dialog anmahnten, auch angesichts von Betriebsstörungen durch Hochschulbesetzer:innen.

Bei der Räumung des sozialwissenschaftlichen Instituts gab es neben Angriffen auf Journalisten und der Festnahme eines Anwalts offenbar auch einen sexuellen Übergriff durch einen Polizeibeamten auf eine Studierende. Die vielen Ebenen, auf denen staatliche Gewalt in Deutschland derzeit dem Gerechtigkeitsempfinden von zwei Dritteln der Bevölkerung entgegenschlägt, belastet das demokratische Bewusstsein. Seit Wochen werden verschiedene Elemente des bundesrepublikanischen Selbstverständnisses im Hinblick auf ihr Gewicht und ihre Geltung diskutiert: Versammlungsrecht, Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie, polizeiliche Durchgriffsrechte, dienstliche Weisungsgebundenheit, die Interpretierbarkeit von politischen Parolen. Für all das gibt es Expertenrunden, deren Expertise jedoch kaum noch eine Rolle spielt, und journalistische Framings, die die Antisemitismusgefahr ins Zentrum jeder Berichterstattung stellen.

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