Nachdem mein Großvater als junger Mann im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte, konnte er mit Dynamit umgehen. Bis heute vermag ich mir nicht vorzustellen, was ihm zu dieser Befähigung verhalf und wie diese in seiner Zeit in der kroatischen Armee zum Einsatz kam. Auch ist es nun zu spät, ihn selbst zu fragen. Jedenfalls wird in meiner Familie erzählt, sofern überhaupt jemand außer mir nach dem Krieg fragt, dass sich der Vater meines Vaters mit dem Legen und Zünden von Sprengstoff nicht gerade ungeschickt anstellte, wie man sagt; alles andere hätte auch tödliche Folgen gehabt. So habe er, erzählt mein Vater mit Stolz, den Platz für das kleine Steinhaus und die Straße zu seinem Grundstück selbst aus dem Felsen gesprengt. Die Menge des einzusetzenden Sprengstoffs habe er immer sicher einzuschätzen gewusst, und lediglich einmal habe er sich vertan, mit dem Ergebnis eines zu groß gesprengten Kellers, den mein Großvater zeitlebens dafür nutzte, selbst gegärten Wein in großen Flaschen zu lagern. Neben den unzähligen Weinkrügen hätte ich also Stangen an Dynamit finden können, so stelle ich es mir vor, wenn ich mich als Kind weiter ins karstige, viel zu große Dunkel hineingetraut hätte.

Land aus Stein, eine so banale wie zutreffende Metapher. Wie hier alles aus Stein hervorgehauen und von Steinen befreit werden muss, um ein erträgliches Leben einzurichten, freizuschaufeln, zwischen aus scharfkantigen Steinbrocken geschichteten Mauern entlang der Felder und Äcker, Monumente des jahrelangen Sich-Bückens, Aufhebens und Ausgrabens. Urbarmachung in steiniger Umgebung. Und die Erde gibt nicht auf, das tut sie niemals, egal um welche Aufgabe es sich handelt. Sie schiebt die Steine wieder zurück, stößt sie nach oben, lässt beständig neue an die Oberfläche sprudeln. Auf dem Acker immer dasselbe Bild: Mein Vater bückt sich, wirft einen Stein zur Seite, bückt sich, wirft einen Stein zur Seite, als ob es mit dem nächsten Stein ein Ende hätte.

Ich finde eine alte, mir in diesem Zusammenhang passend erscheinende und gleichermaßen verwirrende Notiz: «Steine an verschiedenen Orten einsammeln und ein Mosaik legen». Meine Unschlüssigkeit, ob ich darin einen Auftrag, eine Idee oder eine Metapher erkennen soll und zu welchem Zweck ich diesen Satz notiert habe. Ich erinnere mich nicht mehr an den Moment des Aufschreibens.

Die Verbrechen der Anderen

Mein Großvater, der aus einer ärmlichen Bauernfamilie aus Herzegowina stammte, kämpfte während des Zweiten Weltkrieges, also zu Zeiten, in denen in Kroatien das faschistische Regime der Ustascha mit Fahnen, Rassengesetzen, Führerkult und KZs herrschte, auf Seiten der großen Vorbilder, der Deutschen. Wobei nicht mehr leicht herauszufinden ist, worin dieser Kampf in seinem Fall genau bestand und noch weniger, welche Wahl mein Großvater bezüglich des Ergreifens oder Ablehnens von Waffen innerhalb der historischen Gemengelage tatsächlich hatte. Meinem Vater zufolge keine; er habe ja nur zwei Jahre die Schule besucht und sei erst siebzehn gewesen. Dass auch aus siebzehnjährigen Bauern Partisanen hätten werden können, traute ich mich bisher nicht zu sagen.

Mein Vater erzählt, dass sein Vater früh in Gefangenschaft geraten, aber unversehrt geblieben sei und großes Glück gehabt habe, einer Explosion beispielsweise nur knapp entkommen sei. Beschönigung und Überlieferung sind wie immer in solchen Berichten nicht voneinander zu trennen. Nach dem Krieg sei er aufgrund seiner Vergangenheit als Kollaborateur von den nun das ganze Land und damit auch seinen kleinen Acker regierenden Kommunisten schikaniert worden, was sich unter anderem darin geäußert habe, dass Männer mit rotem Stern auf ihren Mützen bei ihm zuhause aufgetaucht seien, eine ausgedachte Anschuldigung über die Steinmauer geworfen hätten und mit einem an den Beinen zu einem Sack gebundenen Schaf wieder abzogen seien. Heute werden die Ustascha von kroatischen Nationalisten zu Patrioten verklärt, die nicht für einen hauseigenen Faschismus, sondern für die nationale Unabhängigkeit gekämpft hätten; als hätte das eine sich ohne das andere ereignet.

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Eine Freundin sagt, nachdem ich ihr von meiner Absicht erzähle, einen Text über das Erinnern und Vergessen auf dem Balkan zu schreiben: «Das kann dir schnell um die Ohren fliegen!» Ich verspreche Vorsicht, naiv in diesem Moment womöglich, an die friedensstiftende Kraft des Wortes glaubend, wo ich doch auch das Gegenteil spüre, das Naheliegende: dass Worte oft den Anfang machen, unverzichtbar sind beim Ausheben von Stellungen, beim Legen der Zündschnur. Ohne Worte kein Krieg, das wissen doch alle, vor allem die Worte des Anderen sind es, denen man nicht verzeihen kann, die sich nur mit Taten begleichen lassen. Jedenfalls ging mir in diesem Moment nicht nur eine von Anfang an in mich hineinkriechende Aussichtslosigkeit durch den Kopf, sondern auch das Dynamitvermögen meines Großvaters. Auch ich kann, denselben Namen tragend, mit Hochexplosivem umgehen, da bin ich mir sicher. Doch was fangen die Kroat:innen mit einem wie mir nur an? Der einmal im Jahr Urlaub an der Adria macht, der nicht wirklich ihre Sprache spricht, der sich einmischt und sich erlaubt, über ihr Land und ihre Geschichte zu schreiben?