Während meiner Arbeit in einer Produktionsbrigade zur Zeit der Kulturrevolution bestand meine Aufgabe darin, Schweine zu mästen und Kühe zu hüten. Schweine und Kühe kämen an und für sich auch gut allein zurecht. Sie würden frei und unbekümmert über die Felder ziehen, bei Hunger fressen, bei Durst saufen und sich im Frühling der Liebe hingeben. Es wäre ein Leben der einfachsten Art, und man müsste darüber weiter nicht viele Worte verlieren. Seitdem jedoch der Mensch sich um diese beiden Tierarten kümmert, geht es in ihrem Leben geregelter zu. Man plant für sie, und für die meisten Tiere bedeutet das nichts Gutes – Kühe müssen schuften, Schweine sollen Fleisch ansetzen.
Für eine kleine Minderheit der erwähnten Spezies ist freilich etwas anderes vorgesehen. Nehmen wir zum Beispiel die Schweine. Besamungseber und Muttersauen sollen schließlich nicht nur fressen, sondern vor allem… na, Sie wissen schon. Ich bezweifle allerdings, dass den Tieren das überhaupt recht ist, schließlich stürzt man sie in einen inneren Konflikt. Die Aufgabe des Ebers besteht in der Paarung mit immer neuen Partnerinnen, er muss also, streng genommen, im politischen Auftrag ein Leben als Playboy führen. Die Pflicht der Muttersauen ist das Ferkelkriegen, doch kommt es vor, dass Sauen ihre Jungen einfach fressen. Alles in allem bleibt es ein grausames Geschäft für die Schweine, doch sie nehmen es hin – Schwein bleibt eben Schwein.
Eine grundlegende Eigenschaft des Menschen besteht darin, alles Mögliche zu planen und zu organisieren. Wie wir wissen, gab es im alten Griechenland die Spartaner, die das Leben auf fade Weise durchorganisierten bis zum Exzess. Das Ziel bestand darin, die Männer zu todesmutigen Kriegern heranzubilden, aus Frauen wurden Gebärmaschinen – analog zu den Kampfhähnen und den Sauen in der Tierwelt. Diese beiden Tierarten sind durchaus etwas Besonderes, allerdings gehe ich davon aus, dass sie ihre Existenz nicht ohne Weiteres gut finden. Nun denn, es ist für jeden schwierig, sein Schicksal selber in die Hand zu nehmen, egal ob Mensch oder Tier.
Im Folgenden will ich von einem Schwein erzählen, das ganz anders war als die große Masse der Schweine. Zu der Zeit, in der ich als Schweinemäster tätig war, dürfte das Schwein, von dem hier die Rede ist, bereits an die vier oder fünf Jahre alt gewesen sein. Von seinem Status her handelte es sich um ein Mastschwein. Dabei war es schwarz und mager, in seinen Augen lag ein heller Glanz. Flink wie eine Bergziege setzte das Vieh mit einem gekonnten Sprung über ein meterhohes Gatter, mit katzengleicher Wendigkeit gelangte es im Nu sogar bis auf das Dach des Schweinestalls. Die Folge dieser Bewegungslust bestand darin, dass das Schwein sich überall herumtrieb, nur nicht im Schweinestall. Alle jugendlichen Intellektuellen unserer Brigade, die einmal in der Schweinemast zu tun gehabt hatten, schlossen damals das Vieh in ihr Herz. Es war auch mein Liebling, denn es gestattete nur uns Jüngeren, sich ihm bis auf drei Meter zu nähern; bei allen anderen suchte es das Weite.
Im Laufe der Zeit wurde es dem Schwein zur Gewohnheit, nach dem Fressen auf dem Dach ein Sonnenbad zu nehmen. Auch kam es vor, dass es alle möglichen Geräusche nachahmte. So gelang es ihm etwa, die Geräusche von Autos und Traktoren täuschend ähnlich nachzuahmen. An manchen Tagen sah man keine Spur von ihm, ich nehme an, es trieb sich dann in den Nachbardörfern auf der Suche nach einer passenden Muttersau herum.
Wie gesagt, bei uns mit der Schweinemast beschäftigten jugendlichen Intellektuellen erfreute sich unser «Schweinefreund» großer Beliebtheit. In unseren Augen besaß er seinen eigenen Schädel, und vor allem schätzten wir seinen lockeren Lebensstil. Das Urteil der ortsansässigen Bevölkerung war freilich weit weniger romantisch, für sie war das Schwein schlichtweg verrückt. Die Leiter des Dorfes verfolgten unser Schwein mit geradezu fanatischem Hass (dazu gleich mehr). Was mich betraf, so muss ich gestehen, dass ich das Schwein nicht nur mochte – ich verehrte es und sprach von ihm respektvoll als meinem «Schweinebruder».
Ungemach erwuchs dem Schwein letztlich daraus, als es ihm gelang, den Ton der Dampfpfeife zu imitieren, mit der den Arbeitern der örtlichen Zuckerfabrik die Mittagspause angekündigt wurde und die neue Schicht begann. Pünktlich mit dem Erklingen der Dampfpfeife legten alle Mitglieder der Brigade ihre Arbeit auf den Feldern nieder. Das Schwein hatte es sich mit dem Erwerb seiner neuen Fähigkeit zur Gewohnheit gemacht, jeden Vormittag um halb elf von einem Dach aus den gewohnten Pfeifton erklingen zu lassen, worauf die Arbeit auf den Feldern zum Erliegen kam – wohlgemerkt eineinhalb Stunden bevor die Pfeife der Zuckerfabrik zur Mittagspause rief.
Die örtliche Leitung sah sich zum Handeln gezwungen, man berief eine Sitzung ein, auf der das Schwein zum «schlechten Element» erklärt wurde, das die Feldbestellung zur Frühjahrszeit behindere. Drastische Maßnahmen sollten unverzüglich ergriffen werden – der Geist, in dem die Sitzung betrieben wurde, war mir vollkommen klar, doch machte ich mir dennoch keine Sorgen um das Schwein: Keine noch so drastische Maßnahme würde Erfolg haben, selbst wenn man vorhaben sollte, das Schwein zu fesseln und zu töten.
Schließlich wurde zur Tat geschritten, um dem vermeintlichen Übeltäter auf dem freien Gelände außerhalb des Schweinepferchs das Handwerk zu legen. Auf der einen Seite der Politkommissar mit einem Gefolge von zwanzig Leuten, jeder bewaffnet mit einer 54er Pistole; auf der anderen Seite sein Stellvertreter mit einem Dutzend weiterer Leute und Flinten, mit denen man gewöhnlich auf Vögel und Tiere schoss, die sich über die Saat auf den Feldern hermachten.
Die Gelassenheit, mit der mein Schweinebruder auftrat, nötigte mir höchsten Respekt ab: mit kühler Berechnung gelang es ihm, sich ausschließlich innerhalb der Schusslinien der Feuerwaffen aufzuhalten, und weder das Geschrei der Leute noch Hunde, die man auf ihn hetzte, brachten ihn aus der Ruhe. Hätten die Schützen auf beiden Seiten das Feuer eröffnet, um das Schwein zu töten, hätten sie sich unweigerlich gegenseitig erschossen.
Mittlerweile bin ich vierzig Jahre alt, doch ist mir nie wieder jemand begegnet, dem es gelungen wäre, sein Leben mit solch einer Abgeklärtheit einzurichten wie ebendieses Schwein. Auf der anderen Seite hatte ich immer wieder mit Menschen zu tun, denen es vor allem darum ging, andere zu gängeln oder mit Menschen, die der Gängelung gleichgültig gegenübertraten. Und weil das so ist, denke ich immer wieder voller Sehnsucht an dieses Schwein, das einen eigenen Schädel besaß.
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